Die Europäische Union nehme mit ihrer Migrationspolitik Menschenrechtsverletzungen bei Migranten billigend in Kauf. Diesen Vorwurf erhebt das UN-Menschenrechtsbüro in einem Bericht über Vorkommnisse auf der Fluchtroute über das zentrale Mittelmeer nach Europa. Dass Menschen nicht geschützt werden, sei kein tragischer Einzelfall, sondern die Folge von Entscheidungen der EU und der libyschen Behörden, kritisierte das Büro mit Sitz in Genf.

Der Bericht mit dem Titel Tödliche Missachtung untersucht die Such- und Rettungseinsätze im Mittelmeer von Anfang 2019 bis Ende 2020. Die UN-Experten betonen, dass Libyen kein sicherer Ort für Flüchtlinge sei, die nach ihrer Rettung an Land gebracht werden. Durch die derzeitige Praxis werde missbräuchliches Verhalten gegen Migranten zugelassen, anstatt sie davor zu beschützen. Menschenrechtsverletzungen seien auch die Folge von politischen Entscheidungen und Vorgehensweisen der EU-Mitgliedstaaten und deren Institutionen in Brüssel.

"Die wahre Tragödie ist, dass so viel Leid und Tod auf der Route über das zentrale Mittelmeer verhindert werden könnte", sagte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet. "Jedes Jahr ertrinken Menschen, weil Hilfe zu spät oder gar nicht kommt." Die Geretteten müssten teilweise Tage oder Wochen warten, bis sie an Land gelassen würden. Andere würden zurück nach Libyen gebracht, "das, wie schon unzählige Male betont wurde, kein sicherer Hafen ist".

UN fordern sichere und geregelte Einwanderung nach Europa

In dem Bericht wird den EU-Staaten vorgeworfen, ihre Rettungseinsätze zurückgefahren zu haben, während private Seenotretter an ihrer Arbeit gehindert würden. Zugleich habe die libysche Küstenwache ihre Einsätze – auch auf Betreiben der EU – ausgeweitet und im vergangenen Jahr mehr als 10.300 Flüchtlinge im Mittelmeer aufgegriffen und nach Libyen zurückgebracht. Dies waren fast 2.000 Migrantinnen und Migranten mehr als 2019. In dem nordafrikanischen Land drohen ihnen dem UN-Bericht zufolge dann vor allem Gewalt und schwere Menschenrechtsverletzungen.

Die Flüchtlinge brächten sich auf der Suche nach "Sicherheit und Würde" in Lebensgefahr, indem sie auf seeuntauglichen Booten die Reise nach Europa antreten, sagte Bachelet. "Aber die Antwort kann nicht sein, dass man Abreisen aus Libyen einfach stoppt oder die Reisen noch auswegloser und gefährlicher macht." Allein in diesem Jahr seien auf der Route bereits mehr als 630 Menschen ertrunken. Es müssten ausreichend sichere und geregelte Möglichkeiten der Einwanderung nach Europa geben.

Immer wieder stehen die Europäische Union und die Grenzschutzbehörde Frontex in der Kritik. Jüngst haben Aktivistinnen und Aktivisten der Menschenrechtsorganisation Front-Lex beim Europäischen Gerichtshof Klage gegen die EU-Grenzschutzbehörde eingereicht. Die Behörde habe in Form sogenannter Push-back-Aktionen gegen die Rechte von Asylsuchenden und das internationale Recht verstoßen.