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Bis zu rund 150 Prozent teurer Warum wir auf Raststätten immer mehr zahlen müssen - und wer daran verdient

Attraktiv und teuer: Rund 500 Millionen Reisende suchen jedes Jahr deutsche Autobahnraststätten auf
Attraktiv und teuer: Rund 500 Millionen Reisende suchen jedes Jahr deutsche Autobahnraststätten auf
© Jan Woitas / Picture Alliance
Der ideale Raststättenkunde ist hungrig, müde und muss aufs Klo. Aber vor allem muss er zahlen. Reisende werden an Autobahnraststätten immer schamloser ausgenommen. Ein stern-Report über Gier und Staatsversagen.
Von Rolf-Herbert Peters

Als er den Rüssel bereits in der Hand hält, schaut Wolfgang Neumann zum ersten Mal auf das Display der Aral-Zapfsäule. 1,519 Euro kostet der Liter Diesel: "Das kann doch wohl nicht wahr sein!"

Bei 13 Litern bricht er ab. Es reicht ihm. Rund fünf Kilometer entfernt – an einer freien Tankstelle – ist Diesel 33 Cent billiger, zeigt die Tank-App. "Der Aufpreis hier ist unverschämt", sagt Neumann. Aber auch – normal. Wir sind schließlich an einer deutschen Autobahnraststätte: Gütersloh Nord an der A2.

Neumann und seine Frau Sigrun sind in Eile. Nach einem Besuch bei ihrer Tochter müssen sie heim nach Manderscheid. Die teure Säule wollten sie gar nicht anfahren. Doch dann: Mega-Stau. Über Stunden Stop-and-go. Die Klimaanlage ihres Renault Koleos brüllte gegen die Hitze an. Die Tanknadel rutschte Richtung Reserve. "Wir wollten keinen Umweg mehr auf uns nehmen", sagt Neumann. Seine Frau musste zudem zur Toilette. Sie hält den 70-Cent-Eintrittsbon noch in der Hand. Gekauft haben sie nichts – ein kleiner Cappuccino kostet hier 3,30 Euro. Auch das: normal an deutschen Raststätten.

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01:45 min

Fabelpreise beim Sprit, Beutelschneiderei im Shop, Pipi-Maut: Umfragen zeigen, dass sich fast drei Viertel der Reisenden an Raststätten abgekocht fühlen. Der ehemalige ADAC-Präsident Peter Meyer nannte die Anlagen "Raubritterburgen der Moderne". Gerade jetzt in der Ferienzeit, wo etwa 40 Prozent der Urlauber mit dem Auto unterwegs sind, wächst der Unmut. An diesem Sommerfreitag lässt sich an der Raststätte Gütersloh Nord niemand auftreiben, der den Service loben will – von den sauberen Toiletten einmal abgesehen. Umso häufiger fällt das Wort "Abzocke".

Bis zu rund 150 Prozent teurer

Stichproben des stern in Raststätten-Shops an der A2 zwischen Bielefeld und Hamm zeigen: Der Abstand zu den gewohnten Verbraucherpreisen ist abenteuerlich. Im Vergleich zum Supermarkt Thiesbrummel, der in Sichtweite der Abfahrt Gütersloh liegt, kostet das Käsebrötchen an der nahen Raststätte 130 Prozent mehr, nämlich 2,99 Euro. 0,5 Liter Cola Zero gibt es für 2,29 Euro – ein Plus von 131 Prozent. Eine Dose Red Bull für 3,49 Euro – ein Plus von 151 Prozent. Selbst der Whopper bei Burger King liegt 20 Cent über der Preisempfehlung des Burger-Bräters.

"Sie tun es, weil sie es können" – so erklärt Gregor Kolbe, Mobilitätsexperte bei der Verbraucherzentrale Bundesverband, die Hochpreispolitik. Denn so gut wie alle Stationen an den 13 000 deutschen Autobahnkilometern gehören einem einzigen Konzern: Tank & Rast. Die Bonner besitzen etwa 400 Raststätten, 360 Tankstellen sowie 50 Hotels. Wettbewerb wie in Österreich oder der Schweiz, wo verschiedene Eigentümer um die Gunst der Kunden ringen, gibt es nicht. Kolbe sagt: "In solch einem Umfeld kann Tank & Rast den Reisenden leicht horrende Preise abknöpfen."

Ist das Wegelagerei oder einfach nur Marktwirtschaft, wo Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen? Die einen sagen: "Hört auf zu jammern, Autofahrer!" Niemand muss eine Raststätte anfahren. Jeder kann vorausplanen. Proviant einpacken. Die Autobahn verlassen, eine Provinztankstelle ansteuern, im Supermarkt einkaufen. Es gibt Apps, die minutengenaue Spritpreise ausweisen, und Navis, die den Weg zum nächsten Laden kennen.

Die anderen halten dagegen: "Ökonomen-Geschwätz!" Theoretisch richtig, aber weltfremd. Wer bedient schon bei Tempo 130 eine Sprit-App? Wer fährt für eine Flasche Wasser in die Pampa? Welcher Reisebusfahrer hat die Nerven, ein Gratisklo zu suchen, wenn den Passagieren die Blase drückt? Die zwar kostenlosen, aber meist versifften Rastplatzlatrinen sind vor allem in der Hauptreisezeit unzumutbar. Und der Kassierer an der Dorftanke rückt den Toilettenschlüssel mit dem schmuddeligen Holzklotz auch nur heraus, wenn man tankt oder etwas verzehrt.

Dabei könnte man es belassen, sich aufregen oder nicht. Nur sieht der normale Kunde zwar die Preisschilder an der Raststätte, aber nicht deren Ursache: Eine verkorkste Privatisierung, die ein System der Gier erlaubt. Das trifft Tausende Arbeitnehmer, Millionen Verbraucher – und am Ende sogar Natur und Umwelt. Es geht um weit mehr als den Preis für einen Kaffee oder einen Liter Benzin.

Der Markt fördert die Gier

Wir treffen einen Mann, der leidvoll lernen musste, weshalb die Preise an den Autobahnen aus dem Ruder liefen. Wir nennen ihn Rudi Schulz, er will anonym bleiben. In den 80er Jahren pachtete der Unternehmer einige Autobahnraststätten. Sie gehörten damals der staatlichen "Gesellschaft für Nebenbetriebe der Bundesautobahnen" (GfN), gegründet in der Adenauerära. Lkw-Fahrer, Geschäfts- und Urlaubsreisende sollten gut und preiswert versorgt werden. "Es war eine großartige Zeit", sagt Schulz. "Ich musste 15,5 Prozent meines Umsatzes an die GfN abführen – ansonsten war ich ein freier Mann."

Bis 1994. Da firmierte die Regierung Kohl die GfN zur "Tank & Rast AG" um. Teile von ihr sollten über die Börse verkauft werden, um Löcher im Haushalt zu stopfen. Vier Jahre später wurde Tank & Rast überraschend für rund 600 Millionen Euro an ein Investoren-Konsortium aus Allianz Capital Partners, Lufthansa Service Holding und Apax-Fondsgesellschaften verhökert. Die führten vor allem eines im Schilde: Kasse machen. Tim Engartner, Sozialwissenschaftler an der Universität Frankfurt und Kenner der Historie, kritisiert die damalige Entscheidung: "Der Verkaufspreis war viel zu niedrig." Bis heute muss Tank & Rast alle drei Monate Konzessionsgebühren an den Staat abführen: maximal 1,53 Cent pro Liter Kraftstoff und drei Prozent des sonstigen Umsatzes.

Die neuen Besitzer langten sofort kräftig zu – bei Raststättenpächtern wie Schulz: "Die wollten nun glatt das Doppelte. Ich musste eine Fixpacht von rund 20 000 Euro plus Umsatzpacht abliefern." Bald geriet er in Existenznot. "Was sollte ich tun? Natürlich habe ich sofort die Preise erhöht." Gummibärchen, Cola, Eis – alles rauf. Aber auch Speisen und Getränke im Restaurant. Der Kostendruck stieg immens. "Die Außendienstler von Tank & Rast legten uns in Gesprächen nahe, künftig ihre sogenannten ‚Empfehlungslieferanten‘ zu nutzen – ein Vorschlag, den wir kaum ablehnen konnten. Die waren sogar teurer als meine alten." Tank & Rast betont auf Anfrage, es gebe "grundsätzlich die Möglichkeit, eigene Lieferanten zu wählen".

Die "Heuschrecken" kommen

Finanzinvestoren bleiben in der Regel nicht lange. Ihr Geschäftsmodell lautet: kaufen, kassieren, verschwinden. Dafür hat ihnen ausgerechnet der damalige SPD-Vorsitzende und Ex-Verkehrsminister Franz Müntefering den Titel "Heuschrecken" verliehen.

Tank & Rast wurde über die Jahre von einem Investor zum nächsten durchgereicht. 2005 biss das vielleicht gefräßigste Insekt der Welt zu: Guy Hands, Chef des Finanzinvestors Terra Firma. Er zahlte 1,1 Milliarden Euro, lastete einen Großteil davon Tank & Rast als Schulden auf – die Firma musste sich quasi selbst kaufen – und ließ sich später Dividenden auf Kredit auszahlen. Heute gehört Tank & Rast neben Allianz Capital Partners einer Tochter des Rückversicherers Munich Re sowie Fonds aus Kanada, Abu Dhabi und China. Kaufpreis 2015: rund 3,5 Milliarden Euro – fast das Sechsfache dessen, was der Staat einst bekam. Laut des jüngsten veröffentlichten Geschäftsberichts 2017 lasten über 5,1 Milliarden Euro Konzernverbindlichkeiten auf der Autobahn Tank & Rast Gruppe. Wie davon runterkommen bei einem Jahresgewinn von nur gut 285 Millionen Euro? Im Vorjahr schrieb der Konzern sogar rote Zahlen. Haupteigner Allianz wollten sich gegenüber dem stern nicht zu dem Investment äußern.

Über die Jahre, so empfand es Schulz, habe Tank & Rast Pächter wie ihn immer schamloser gemolken. "Wegen der steigenden Abgaben mussten wir die Preise immer weiter hochsetzen." Den Druck spüren die Pächter, die heute Franchisepartner heißen, noch immer. Der Automobilclub "Mobil in Deutschland" hat beobachtet, dass etwa an der Raststätte Hüttener Berge (A7) der Preis für eine 0,5-Liter-Flasche Wasser zwischen 2014 und 2018 von 1,99 auf 3,19 Euro stieg, während er in den Märkten der Peripherie nur leicht anzog. Für Clubchef Michael Haberland ein Beleg, dass Tank & Rast wie ein Monopolist wirtschaften kann: "Gäbe es solch einen Preisabstand zwischen Aldi und Lidl, wäre der Teurere längst tot."

Auf Anfrage vermag Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts, trotz allem keine übermäßige Marktmacht von Tank & Rast erkennen. Er verweist auf die Ausweichmöglichkeiten jenseits der Autobahn. Als wenn es so einfach wäre, moniert Verbraucherschützer Kolbe: "Viele Autobahnfahrer sind in Zwangslagen, denen sie ohne erheblichen Mehraufwand nicht ausweichen könnten."

Genau das empfinden die fünf Menschen, die an der A2-Raststätte Rhynern Nord aus einem Mercedes-Kombi steigen: Nieke Michaelsen mit ihren Eltern und Megan Ehm mit ihrer Mutter. Die Mädchen spielen Inline-Skaterhockey bei den Bissendorfer Panthern, wurden 2017 deutscher Vizemeister. Der Preis für den Erfolg sind viele Autobahnkilometer an Wochenenden. Und immer stehen sie unter Druck, den Anpfiff nicht zu verpassen. Sie müssen heute zum Euro-Cup nach Kaarst, standen auch im Stau – wie so oft. Ohne Toilettenbesuch und Snack geht nun nichts mehr. "Dass wir hier halten, ist mal wieder nur der knappen Zeit geschuldet", sagt Niekes Vater.

Eine halbe Stunde gönnen sie sich, länger bleiben Tank & Rast-Gäste laut Statistik selten, jeder fünfte bricht nach spätestens zehn Minuten wieder auf. "Am meisten ärgert mich die Klogebühr", sagt Jan Michaelsen – wie 80 Prozent der Deutschen. 3,50 Euro haben die fünf im Automaten am Eingang versenkt. "Die Mädchen nehmen manchmal den kostenlosen Kindereingang" , sagt er. Das geht, wenn der Drehkreuzwächter nicht hinschaut. Sind sie dafür nicht zu groß? "Sportlerinnen – die sind biegsam."

Es geht auch anders

Eigentlich dürfte es die Pinkel-Maut gar nicht geben. Im Privatisierungsvertrag von 1998 hat der Bund eine kostenlose Toilettennutzung vorgesehen. Die Tank & Rast-Tochter Sanifair, Herrscherin über die Tank & Rast-Keramikabteilung, betont, das sei nur eine "Bemühensklausel" gewesen. Das Bundesverkehrsministerium sieht keinen Handlungsbedarf und verweist auf "hohe Qualitäts- und Sauberkeitsstandards". Die Gebühr sei eine "unternehmerische Entscheidung". Es geht auch anders, wie Österreich beweist: Dort sind die Autobahntoiletten auch sauber – und Gebühr, wenn vorhanden, voll einlösbar.

Auf Eingriffe aus Berlin können Verbraucher ebenfalls bei den Autobahnspritpreisen kaum hoffen, obwohl die nach Forschungen der Goethe-Universität Frankfurt im Mittel inzwischen rund 20 Cent über dem Marktdurchschnitt liegen – vor vier Jahren waren es nur 6,5 Cent. Verantwortlich dafür ist weniger Tank & Rast als das Bundeskartellamt.

Früher wurden die Autobahntankstellen den Mineralölgesellschaften nach ihrem deutschlandweiten Marktanteil zugeteilt. Dann entschloss sich Kartellamtschef Mundt (FDP), auch Mittelständlern Chancen einzuräumen. Das klang nach mehr Wettbewerb – doch der Schuss ging nach hinten los. 2018 wurden 41 Prozent der Belieferungsrechte für Autobahnraststätten an Höchstbietende versteigert. Bei der Auktion trieben Aral und Co. den Preis in Milliardenhöhen. Das Geld wollen sie seitdem schnell wieder hereinholen – mit Höchstpreisen.

Wie die Politik wird auch der Markt daran nichts ändern. Denn die Hauptkunden an Raststätten, Lkw-Fahrer und andere Geschäftsreisende, stören die Apothekenpreise kaum. Sie sind fast immer mit Tankkarten ihres Arbeitgebers unterwegs und schon deshalb wenig preissensibel. "Da zahlt keiner, was an der Zapfsäule steht", sagt Rainer Wiek vom Energie Informationsdienst EID. Über die Karten werden Rabatte von zehn Cent und mehr je Liter gewährt. Die volle Wucht trifft also nur Privatreisende. Familien zahlen drauf, Profis ist es egal. "Ta-, Ta-, Ta, Tanküberfall", ätzte die "Heute-Show" vor einiger Zeit.

Also doch runter von der Autobahn, wie es Mundt empfiehlt? "Was für ein ökologischer Irrsinn!" , kontert Verbraucherschützer Kolbe. "Sollen wirklich Horden von Pkw und Lkw in die Provinz einfallen, nur um den überzogenen Raststättenpreisen auszuweichen?" Schon jetzt seien die Straßen an den Abfahrten oft verstopft, die Anwohner genervt, und die Umweltbelastung steige. Nach stern-Berechnungen würden CO2 -Emissionen einer mittelgroßen Stadt wie Herford zusätzlich anfallen, wenn die jährlich 500 Millionen Raststättenbesucher auch nur fünf Kilometer Umweg in Kauf nähmen. "Das können wir doch nicht wirklich wollen", sagt Kolbe.

Knapp über dem Mindestlohn

Es wäre unfair (und rechtlich unmöglich), von Tank & Rast Preise wie im Supermarkt zu verlangen. Die Filialen sind 365 Tage rund um die Uhr geöffnet – und viel attraktiver als zu Staatsbetriebszeiten. Den bundesweit rund 12 000 Beschäftigten – die meisten arbeiten im Service – wird eine Menge abverlangt: Kunden beraten, Brötchen schmieren, kassieren, putzen, Regale füllen, Tag und Nacht und an allen Feiertagen. Rechtfertigen die Knochenjobs die hohen Preise? Sicher nicht. Denn das Personal wird mager bezahlt.

Das zeigen die Lohnabrechnungen von drei Tank & Rast-Angestellten, die der stern in Süddeutschland trifft. Nennen wir sie Ilka, Dana und Vito, auch sie wollen anonym bleiben. Jeder arbeitet in einem der 19 Betriebe, die Tank & Rast in Eigenregie führt, also nicht verpachtet hat. Vito, seit fünf Jahren dabei, bekommt rund 1180 Euro netto für den Dreischichten-Job. Eigentlich arbeitet er 39 Wochenstunden. Da er sich vom Lohn kein Auto leisten kann und zur Raststätte kein Bus fährt, muss er täglich weitere vier Stunden Arbeitsweg auf sich nehmen. Die letzten 20 Minuten läuft er zu Fuß über Wiesen und Felder. Er sagt: "Ich wohne bei Verwandten. Sonst könnte ich gar nicht überleben."

Tim Lubecki, Geschäftsführer der Gewerkschaft NGG für die Region Schwaben, sagt: "Tank & Rast nutzt den schlechtesten Tarifvertrag, den wir bundesweit haben." Der Einstiegslohn beträgt 9,25 Euro in der Stunde – gerade einmal sechs Cent über dem Mindestlohn. Mehr noch: "Wir müssen häufig jeden Cent einklagen. So werden Zuschläge nicht gezahlt, die Mitarbeitern bei Mehrarbeit zustehen." Dana bleiben nach acht Jahren Plackerei rund 1240 Euro netto: "Ich habe zwei Kinder und muss sogar an Heiligabend arbeiten." Sie kommt kaum über die Runden.

Ilka ist seit etwa zwei Jahrzehnten dabei und eine Art Führungskraft. Trotzdem hat sie gerade mal 350 Euro mehr in der Lohntüte als Dana. Sie erzählt, wie anspruchsvoll ihr Job ist. Wie es sie bedrückt, den Kunden möglichst viel andrehen zu müssen. Dafür werde sie extra geschult. "Ich muss immer Zusatzverkäufe machen, etwa eine Stulle anbieten, wenn jemand Kaffee kauft." Ein ständiger Kampf: "Du brauchst einen guten Blutdruck, weil du dauernd mit Kunden über die hohen Preise diskutieren musst." Fehler könne sie sich nicht leisten. Regelmäßig, klagt sie, schicke Tank & Rast Testkäufer, die Punkte vergeben. "Wer zu wenig Punkte hat, wird zum Personalgespräch gebeten." Tank & Rast bestreitet das Punktesystem, die Ergebnisse der Testkäufer würden anonymisiert. Dem stern liegen allerdings mehrere Testbögen der "Checker" vor. In ihnen werden die anwesenden Mitarbeiter durchaus mit einer Quote bewertet – wenn auch nicht individuell und namentlich.

Was Ilka besonders ärgert: wie die Gäste über die Pipi-Maut ausgeschlachtet werden. "Für den 50-Cent-Wertbon, der in den 70 Cent steckt, bekommt man bei uns gar nichts.

Am günstigsten ist ein Duplo für 99 Cent. Zeitschriften, die billiger sind, müssen wir sogar zurück zu den Lieferanten schicken", beteuert Ilka. Letzteres sei falsch, sagt Tank & Rast. Und zum Wertbon: Es gebe "durchaus Franchisepartner, die auch Produkte für 50 Cent oder darunter anbieten." Franchisepartner vielleicht – aber Ilka redet von ihrem Arbeitsplatz, einem Tank & Rast-Eigenbetrieb. Ein 50-Cent-Wertbon generiert nach Branchenschätzung rund 3,40 Euro Umsatz – weil Kunden am Ende doch irgendein überteuertes Produkt kaufen, nur um ihn loszuwerden. Laut Umfragen lässt bis zur Hälfte der Verbraucher den Bon verfallen – dann kassiert Tank & Rast die 50 Cent als Gewinn.

"Bloß keine Namen", bitten die drei Mitarbeiter am Ende des Gesprächs noch einmal. Sie fürchten Repressalien. Offenbar fühlt sich der ganzen Raststätten-Kosmos eingeschüchtert. Victor Perli, Bundestagsabgeordneter der Linken, hat kürzlich bei der Bundesregierung einen Bericht zu finanziellen Fragen des Raststättenbetriebs angefordert. Die Antworten, die dem stern exklusiv vorliegen, sind schmallippig und oft ausweichend – mit Hinweis auf "Geschäftsgeheimnisse der Konzessionsnehmer". Perli zürnt: "Die Bundesregierung schweigt zu Einzelheiten des Tank & Rast-Deals und verstößt damit gegen das Auskunftsrecht des Parlaments. Offensichtlich will sie hier etwas vertuschen." Der stern hätte auch gern mit Konzernchef Karl-Heinz Rolfes gesprochen – abgelehnt. Fragen werden nur kontrolliert schriftlich beantwortet.

Autohöfe vs. Raststätten

Dafür redet ein anderer: Johannes Witt, Vorstandschef der Vereinigung Deutscher Autohöfe. Die Anlagen an den Abfahrten sind laut "Mobil in Deutschland" durchschnittlich 19 Prozent billiger als Raststätten. Witt selbst besitzt 18 Autohöfe, darunter Schweitenkirchen nördlich von München. Dort sitzt er im Restaurant "Grand Grill", genießt einen süßen Apfelstrudel mit Eis und ist sauer – weil die Politik Tank & Rast unverhohlen bevorzuge.

Draußen rollen die Lkws auf seine Parkplätze, um die vorgeschriebenen Ruhezeiten einzuhalten. Viele werden übers Wochenende bleiben. Bis zu 170 Trucks kommen jeden Tag. "Es gibt überall viel zu wenige Lkw-Stellplätze, sagt Witt, "die parken manchmal auf der Autobahn oder in der Pampa." Das zu verhindern sei eine gesellschaftliche Aufgabe – deren Last aber ungerecht verteilt sei. "Bei den T & R-Raststätten übernimmt der Bund die Investitionen in Parkplätze und Auffahrten. Ich muss alles aus eigener Tasche finanzieren", sagt Witt.

Tatsächlich wirkt der Deal zwischen Staat und Tank & Rast, nach allem, was bekannt ist, nicht gerade fair. In diesem Jahr wird der Bund etwa 110 Millionen Euro in die Ertüchtigung und den Bau von Rastanlagen – auch die von Tank & Rast – investieren. Im Gegenzug erwartet er von Tank & Rast Konzessionseinnahmen von gerade einmal gut 16 Millionen Euro. Das ist wenig, wenn man bedenkt, dass der Konzern durch die Konzessionsverträge bis mindestens 2038 das Geschäft an den Autobahnen exklusiv genießt. Merkwürdig auch: Die Höhe der Konzessionseinnahmen stagniert seit Jahren, obwohl das Tank & Rast-Netz ständig wächst. Perlis Frage, wann die Umsatzangaben von Tank & Rast das letzte Mal vom Staat überprüft wurden, blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Witt und seine Autohof-Kollegen wollen Chancengleichheit. Warum, fragen sie, verweisen die Hinweisschilder auf den Autobahnen "Nächste Tankstelle in xy Kilometern" immer nur auf Raststätten und nicht auf den näheren Autohof oder die Tanke an der nächsten Abfahrt? Warum dürfen Autohöfe keine Preistafeln an den Fernstrecken aufstellen? Er vermutet: weil Tank & Rast politisch exzellent vernetzt ist. Um die Vorteilssicherung kümmert sich Peter Markus Löw, Vizechef von Tank & Rast, persönlich. Er arbeitete früher in der Staatskanzlei des Saarlands und war später Sprecher und persönlicher Referent des damaligen Bundesverkehrsministers.

Kritiker befürchten, dass selbst Autobahnfahrer, die sich bemühen, bald Tank & Rast nicht mehr entkommen. Das Unternehmen kauft nämlich inzwischen auch Autohöfe auf. 13 sind schon in seinem Besitz, das Geschäft soll "moderat weiterwachsen" , so der Konzern. Auf der viel befahrenen A2 zwischen Bielefeld und Hamm, wo der stern die Neumanns und die Skater-Familien trifft, gibt es auf 90 Kilometern nur noch Tank & Rast-Betriebe. Auffällig: Beim Tank & Rast- Autohof Rheda-Wiedenbrück, 290 Meter Luftlinie von der A2 entfernt, sind Shop- und Spritpreise deutlich niedriger als direkt an der Autobahn – obwohl der auch rund um die Uhr geöffnet ist.

Ziviler Ungehorsam

Perli sagt: "Das Prinzip auf der Autobahn ist so simpel wie ungerecht. Infrastruktur und Verluste werden vom Staat getragen, die Kunden zahlen Mondpreise, und den Gewinn machen die Finanzinvestoren." Forscher Engartner mahnt: "Aus gutem Grund wird die Verkehrsinfrastruktur als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge verstanden." Er, Perli und Gewerkschafter Lubecki fordern deshalb: Der Staat muss die Raststätten zurückkaufen. Sie seien integraler Bestandteil der Autobahnen, deren Privatisierung Berlin vor zwei Jahren ausdrücklich verboten habe.

An der Raststätte Niedergassel an der A2 steigt ein Opa mit seinem Enkel aus einem Mercedes. Er führt den Kleinen hinter einen Baum nahe dem Sanifair-Klo und lässt ihn dort pieseln. Dann erleichtert er sich selbst am grünen Rastplatzzaun hinter einer Picknicksitzgruppe. Pipi-Maut? Nicht mit ihm: "Wir Steuerzahler haben die Autobahnen schließlich schon einmal voll bezahlt."

Der Report über die Abzocke auf deutschen Autobahn-Raststätten ist im stern Nr. 29 vom 11.7.2019 erschienen.

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