Ein Rechtsstreit um einen Artikel der Leipziger Studierendenzeitung luhze über fragwürdige Praktiken der Wohnungsinvestmentgesellschaft United Capital RE ist beigelegt. Das Unternehmen zog einen Antrag auf einstweilige Verfügung gegen die Zeitung vor dem Landgericht Leipzig nach Angaben eines Gerichtssprechers am Donnerstagabend nach Dienstschluss zurück. Der Verhandlungstermin wurde daraufhin kurz vor Beginn am Freitagvormittag aufgehoben.

Mit dem Antrag hatte das Unternehmen erreichen wollen, dass bestimmte Passagen eines Artikels aus der Dezemberausgabe (PDF) der luhze nicht mehr verbreitet werden dürfen und der Text offline genommen werden muss. Der Fall hatte zuletzt für einiges Aufsehen gesorgt: Mehrere auch überregionale Medien berichteten, der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) in Sachsen warnte vor einem möglichen Eingriff in die Pressefreiheit.

Die United Capital schrieb in einer Pressemitteilung, man habe weiter zu verschiedenen Aussagen in dem Text eine andere Auffassung: "Wir meinen, Teile des Artikels sind schlicht falsch dargestellt." Der Artikel rücke das Unternehmen zu Unrecht "in ein falsches, in ein schlechtes, Licht" (sic). Inzwischen nehme man jedoch zur Kenntnis, dass es in der allgemeinen Wahrnehmung der Ereignisse "nicht mehr darum geht, was eine wahrheitliche vollständige Darstellung und was eine Meinung ist", schrieb das Unternehmen. Stattdessen habe sich "das Ganze auf eine Ebene mit vorgeblichen Einschränkungen und Angriffen auf die Pressefreiheit verselbständigt". Diesem falschen Bild wolle man keinen weiteren Vorschub leisten.

Redaktion sieht "klaren Einschüchterungsversuch"

Vertreterinnen der Zeitung, die von dem Verein luhze e.V. getragen wird und ehrenamtlich einmal im Monat von Studierenden der Uni Leipzig produziert wird, zeigten sich erfreut über die neuen Entwicklungen. "Wir haben nicht damit gerechnet, dass der Antrag so spontan noch zurückgezogen wird", sagte die ehemalige luhze-Chefredakteurin Pauline Reinhardt ZEIT ONLINE am Rande einer Solidaritätskundgebung vor dem Gericht. "Dass sie es überhaupt versucht haben, werten wir ganz klar als Einschüchterungsversuch."

Die amtierende Chefredakteurin Adefunmi Olanigan fügte hinzu, dies treffe insbesondere auch auf die Art und Weise zu, wie das Unternehmen gegen die Zeitung vorgegangen sei. "Ich glaube, sie haben nicht damit gerechnet, dass wir uns juristisch so gut aufstellen würden, dass wir uns wehren und es dann so eine Präsenz geben würde", sagte Olanigan.

Studentenzimmer für 18 Euro pro Quadratmeter?

Die luhze hatte in ihrer jüngsten, am 6. Dezember erschienenen Ausgabe einen Artikel unter dem Titel "Bezahlbarer Wohnraum – Streit um die Vorgehensweise von United Capital" veröffentlicht. Darin berichtete die Autorin über eine Bewohnerinitiative in der Leipziger Harnackstraße 10, die Praktiken der United Capital RE anprangerte. Konkret ging es unter anderem um den Vorwurf, das Immobilienunternehmen kaufe Wohnungen, teile diese in WG-Zimmer auf und vermiete sie dann für Warmmieten von bis zu 18 Euro pro Quadratmeter an Studierende.

Zudem gab der Artikel Befürchtungen der Bewohner wieder, dass ihre Wohnung bald von dem Unternehmen aufgekauft werde und sie verdrängt würden. Eine Betroffene wurde mit Aussagen zitiert, das Haus werde teils stundenlang beobachtet, Wohnungen würden beschädigt und Mieter "mürbe gemacht". Auch der Prokurist von United Capital, Sven Schwarzat, kam in dem Text zu Wort und verteidigte die hohen Mieten. Laut luhze hatte sich Schwarzat auch kurz nach Erscheinen der Ausgabe noch einmal an die Redaktion gewandt und sich für die ausgewogene Berichterstattung bedankt.

Abmahnung kurz vor Weihnachten, Frist zwischen den Jahren

Am 23. Dezember ging dann laut luhze um kurz vor Mitternacht eine E-Mail einer Berliner Anwaltskanzlei in der Redaktion ein. In dem neunseitigen Schreiben, das ZEIT ONLINE vorliegt, heißt es, der Artikel stelle eine "Verletzung des Unternehmenspersönlichkeitsrechts" der United Capital dar.

Konkret sieht die Kanzlei in Vertretung des Unternehmens an fünf Stellen des Textes falsche Tatsachenbehauptungen – etwa jene, dem Unternehmen gehörten bereits sieben Wohnungen in der Harnackstraße 10, oder die Aussage, die United Capital habe Mietern Eigenbedarfskündigungen ausgesprochen, um sie loszuwerden. Die Kanzlei setzte der luhze eine Frist bis zum 30. Dezember, die Veröffentlichung der Textpassagen einzustellen und den Artikel online zu entfernen, eine entsprechende Unterlassungserklärung einzureichen und gut 2.000 Euro Anwaltskosten zu erstatten. Die luhze erscheint kostenlos und finanziert sich über Spenden und Crowdfunding. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten ehrenamtlich, der Trägerverein hat nur ein paar Hundert Euro auf dem Konto. 

Der luhze e.V. widersprach und teilte mit, es lägen für alle Textstellen, die als falsch kritisiert worden seien, Belege für deren Richtigkeit vor. Daraufhin beantragten die Anwälte der United Capital eine einstweilige Verfügung vor dem Landgericht Leipzig, die ihrer Meinung nach falschen Tatsachenbehauptungen zu unterlassen. Der vorläufige Streitwert wurde mit 50.000 Euro angesetzt, das Landgericht setzte diesen Freitag als Verhandlungstermin an – zu dem es nun nicht kam. 

Die luhze kündigte an, auch in Zukunft über das Thema Wohnen und Mieten in der Stadt zu berichten – und auch weiter ein Auge auf die Vorgänge in der Harnackstraße 10 zu haben. Anlässe dafür könnte es noch einige geben: Wie das Dezernat Stadtentwicklung und Bau der Stadt Leipzig erst Mitte dieser Woche auf eine Anfrage aus dem Stadtrat hin mitteilte, wurden der Stadtverwaltung bereits mehr als 40 Objekte der United Capital gemeldet, für die Anwohnerinnen und Mieter "Verstöße gegen erhaltungs- und baurechtliche Vorschriften" vermuten.