Großmächte nehmen Satelliten als Angriffsziele ins Visier

Derzeit bauen die Großmächte ihre Arsenale an Anti-Satelliten-Waffen aus. Allerdings bringen schon wenige Angriffe die gesamte künftige Raumfahrt in Gefahr.

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(Bild: sdecoret / Shutterstock.com)

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Von
  • Johannes Streeck
Inhaltsverzeichnis

Für viele Beobachter hat Russlands Aggression gegen die Ukraine den Beginn einer neuen Eiszeit zwischen Ost und West eingeläutet. Auf einem anderen Schlachtfeld allerdings ist der Kalte Krieg schon längst im Gange: nicht zu Lande oder auf hoher See, sondern im Orbit. Ohne großes Aufsehen bauen dort vor allem die Supermächte USA und Russland schon seit Jahren ihre militärischen Fähigkeiten aus. Beide unterhalten mittlerweile sogar spezielle Streitkräfte für Aktionen im Weltraum.

Die militärischen Mittel für einen Krieg der Satelliten sind längst vorhanden, die Etats schwellen an. Allein im Jahr 2021 ist die amerikanische Space Force um über 30 Prozent auf 24,5 Milliarden Dollar gewachsen. Dieser erst 2019 gegründete Streitkräfteteil hat vielerlei Aufgaben: Er soll nicht nur ein System verlässlicher Kommunikations- und Beobachtungssatelliten für Krisensituationen aufbauen, sondern auch Waffen bereitstellen, die gegnerische Satellitentechnik bekämpfen. Der militärische Oberbefehlshaber der neuen Streitkräfte, John Raymond, hat kürzlich das All zur "Domäne des Krieges" erklärt. Der russische Gegenpart steht den USA weder in militärischen Kapazitäten noch in scharfer Rhetorik nach. Doch was steht hinter dem orbitalen Säbelrasseln – und wie bekämpft man Satelliten?

Anti-Satelliten-Waffen gibt es schon fast so lang wie Satelliten selbst. So entdeckte die US-Armee Ende der 50er-Jahre, dass sie ihre neuen Abwehrraketen gegen Interkontinentalraketen kaum verändern musste, um diese auch gegen Objekte im Orbit einzusetzen. Die Zielerfassung für Satelliten und Langstreckenraketen funktioniert dabei ähnlich: Nach Berechnung der Flugbahn des feindlichen Objekts wird die Abwehrrakete so gestartet, dass sie dem Ziel praktisch in den Weg fliegt (Direct Ascent). Im Vergleich zu Langstreckenraketen stellen Satelliten sogar ein vergleichsweise einfaches Ziel dar, weil ihre Laufbahnen leicht vorhersehbar sind. Schon 1963 gelang den USA der Abschuss eines Zielobjekts in der erdnahen Umlaufbahn. Zum Teil wurden die später stationierten Nike-Zeus-Raketen sogar mit nuklearen Sprengköpfen versehen, die Satelliten des Gegners zusätzlich mittels eines elektromagnetischen Impulses ausschalten sollten.

Bei der Übung "Space Lightning" simulierte das US Space Command Ende Januar Angriffe auf militärisch wichtige Satelliten-Infrastruktur.

(Bild: US Space Command)

Interkontinentalraketen gelten auch heute als eine der effektivsten Methoden, um Satelliten anzugreifen. Seit 2010 arbeitet Russland an einem Projekt namens Nudol. Dabei geht es um eine Rakete, die von einer mobilen Startrampe abgefeuert werden kann. Das System ist zwar für die Zielerfassung noch von einem Radarsystem in Russland abhängig, kann aber von seiner Startplattform auf der Ladefläche eines Lkws prinzipiell von überall im Land starten. Bis zum vergangenen Jahr wurde Nudol nur gegen imaginäre Ziele im Orbit abgefeuert. Am 15. November 2021 bewies Moskau allerdings anhand eines ausrangierten sowjetischen Satelliten, dass die Zerstörungskraft des Systems keinesfalls nur Theorie ist.

Waffen einer zweiten Kategorie sind fähig, Satelliten direkt im Orbit anzugreifen. Diese Technik ist vor allem in höheren Erdumlaufbahnen erforderlich. Die co-orbitalen Waffen verhalten sich im Grunde selbst wie Satelliten und nähern sich ihrem Angriffsziel auf ungefähr derselben Umlaufbahn. Bereits Ende der 50er-Jahre entwickelte die Sowjetunion ihr Projekt "Istrebitel Sputnikov" (Satellitenkämpfer): Dabei ging es um einen Satelliten, der sich nach Ankunft im Orbit von seiner Startrakete lösen konnte, um dann über einen selbstständigen Antrieb auf die Umlaufbahn seines Zieles zu gelangen. Nach zwei Erdumrundungen konnte er sich dem feindlichen Satelliten nähern, um diesen durch Kollision und zusätzlich mit einer Sprengladung zu zerstören.

Andere co-orbitale Systeme sind darauf ausgerichtet, feindliche Satelliten zu inspizieren oder deren Aktivitäten zu stören, indem sie ihren optischen Systemen physisch die Sicht blockieren. So betreiben die USA ein System mit dem mutmaßlichen Decknamen Hornet. Es besteht aus mehreren kleinen, autonomen Satelliten, die sich von einem größeren Transportsatelliten lösen. Diese patrouillieren in Paaren ober- und unterhalb der geostationären Erdumlaufbahn von rund 35.800 Kilometer Höhe und verfügen über einen eigenen Solarantrieb. Über den Auftrag des Hornet-Programms ist wenig bekannt, außer dass die autonomen Minisatelliten sich immer wieder Satelliten anderer Staaten nähern und diese fotografieren. Da die meisten Staaten Stillschweigen über ihre co-orbitalen Tests bewahren, sind es oft Hobbyastronomen, die als erste derartige Bewegungen registrieren.

Für alle Anti-Satelliten-Waffen ist vor allem die Reichweite ausschlaggebend. Um zivile Satellitenkonstellationen wie Starlink oder Spionagesatelliten in der nahen Erdumlaufbahn anzugreifen, muss ein Waffensystem nur ein paar hundert Kilometer hoch fliegen. Navigationssatelliten wie etwa die Einheiten des GPS-Systems bewegen sich in mittleren Höhen zwischen 20.000 und 23.000 Kilometern und sind so mit Direct-Ascent-Waffen kaum mehr zu erreichen, Kommunikations- und Spionagesatelliten im geostationären Orbit schon gar nicht.

Der Wettlauf um Reichweite treibt die Entwicklung von Waffen voran, die aus der Luft oder gleich aus dem Orbit abgefeuert werden können. Der geringere Luftwiderstand verspricht größere Distanzen mit weniger Treibstoff. Russland und USA verfügen beide über die notwendige Technik, um Anti-Satelliten-Waffen von Kampfflugzeugen aus zu starten. Space-Force-Oberbefehlshaber Raymond sprach in einem Interview kürzlich sogar davon, dass er sich innerhalb der nächsten zehn Jahre auch militärische Installationen der USA auf dem Mond vorstellen könnte. Als Startbasis für Anti-Satelliten-Raketen würde sich dieser optimal eignen.

Im genannten Zeitraum der nächsten zehn Jahre könnten 100.000 zusätzliche Satelliten in die Erdumlaufbahnen starten, wie das Outer Space Institute an der University of British Columbia in Vancouver berechnet hat. Allein das Starlink-System von Tesla-Ableger SpaceX, das weltweites Internet aus erdnahen Umlaufbahnen liefern soll, wird planmäßig aus bis zu 42.000 einzelnen Stelliten bestehen. Heute umkreisen knapp 4600 aktive Satelliten die Erde und liefern essenzielle Dienste für Kommunikation, Navigationsdienste und die Erdbeobachtung.

Es ist deutlich einfacher, einen Satelliten zu zerstören, als ihn gegen Angriffe im Orbit zu verteidigen. Laut einem Papier der Stiftung Secure World Foundation entwickelt Russland unter dem Codenamen Burewestnik co-orbitale Satellitenwaffen – unabhängig vom bekannteren Burewestnik-Programm für Marschflugkörper. Die Burewestnik-Satelliten verfügen zusätzlich zur Angriffstechnik über einen Feststoffantrieb, der Stickstoffgas erzeugt. Eine gezielte Emission des Gases könnte theoretisch dazu dienen, Satelliten vor Wärmesensoren zu verstecken. Andererseits wäre es auch denkbar, durch eine derartige Gaswolke die optischen Systeme angreifender Satelliten zu beeinträchtigen. Die Foundation weist aber darauf hin, dass es sich bei diesem Szenario um Mutmaßungen handelt, die russische Regierung hat sich offiziell nie zur Existenz der Burewestnik-"Satellitenkämpfer" bekannt.

Militärische Aufklärungssatelliten wie das Bundeswehrsystem SAR-Lupe (Synthetic Aperture Radar; Radar mit synthetischer Blende) sind im Krisenfall ein potenzielles Angriffsziel.

(Bild: OHB)

Angriffe feindlicher Waffen sind nicht die einzige Bedrohung für Satelliten. Schon 1978 berechnete der NASA-Wissenschaftler Donald Kessler, dass sich Schrott im All immer weiter vermehrt. Der heute als Kessler-Syndrom bekannte Effekt entsteht, wenn einzelne Fragmente miteinander kollidieren und sich dadurch in immer kleinere Bruchstücke aufteilen. In ihrem Endstadium können die einzelnen Stücke eine dichte Wolke bilden, die sichere Raketenstarts unmöglich macht. Ungebremst würde das Problem Weltraumschrott so langfristig das Ende der Raumfahrt bedeuten.

Mittlerweile sind es um die 8500 Tonnen Schrott, die die Menschheit im All verteilt hat. Ein nicht unwesentlicher Teil davon ist die Hinterlassenschaft von sieben Jahrzehnten der Waffentests. Diese hat heute schon Folgen für die zivile Raumfahrt. So ist der im vergangenen November durchgeführte Test einer Nudol-Rakete für rund 1500 individuell identifizierbare Stücke Weltraumschrott verantwortlich. Die Wolke aus Fragmenten, die der Test erzeugte, zwang in einem Fall die internationale Weltraumstation zu einem Ausweichmanöver. Für die Besatzung der ISS sind die allerdings nicht vollkommen neu, denn die Forschungsstation wird ohnehin schon um die Überreste eines Wettersatelliten gelenkt, der 2007 als Teil eines chinesischen Waffentests auf 865 Kilometer Höhe zerstört wurde. Die SC-19-Rakete, die hierfür verantwortlich war, hat eine vertikale Reichweite von über 1200 Kilometern – eines von mehreren Anti-Satelliten-Raketensystemen, an denen China arbeitet. Erst Ende Mai zitierte die South China Morning Post aus einer vorübergehend öffentlichen Studie des Pekinger Instituts für Tracking und Telekommunikation, das der Volksbefreiungsarmee untersteht, dass Chinas Militär in der Lage sein müsse, das Satellitennetz Starlink gegebenenfalls zu zerstören.

Sollte die Aufrüstung im Weltraum tatsächlich zu einem Krieg der Satelliten eskalieren, wären die Folgen weitreichend, denn zahlreiche lebenswichtige Technologien sind heute von ihnen abhängig. Zudem würden entstehende Trümmerteile unkalkulierbare Risiken für die Raumfahrt erzeugen.

Infos zu Waffentests und Weltraumschrott:

Waffentests und Weltraumschrott – Gefahr für die Raumfahrt

Trümmerteile bedrohen zunehmend die Raumfaht und die für Satelliten interessanten Erdumlaufbahnen. Forderungen nach einem Verbot kinetischer Anti-Satelliten-Waffen werden laut.

Secure World Foundation about Anti-Satellite Weapons

Secure World Foundation releases new infographic on Anti-Satellite Weapons and Space Sustainability

Secure World Foundation – Paper: Global Counterspace Capabilities

Eine Veröffentlichung und Auflistung der Anti-Satelliten-Waffen der USA, Russlands und Chinas (auf Englisch)

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