Orban, Le Pen, Salvini: Europas Putin-Freunde sind in Erklärungsnot

Sie nahmen russisches Geld, posierten als Fanboy und verharmlosten die Politik des Kremls. Mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine sind die europäischen Freunde des russischen Präsidenten auf Distanz gegangen – einige aber nur sehr halbherzig.

Meret Baumann, Luzi Bernet, Judith Kormann, Hansjörg Friedrich Müller, Niklaus Nuspliger 8 min
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Wladimir Putin, der Einflüsterer: Der russische Präsident fand bei einigen europäischen Politikern Gehör und stiess auf viel Verständnis. So auch bei Viktor Orban.

Wladimir Putin, der Einflüsterer: Der russische Präsident fand bei einigen europäischen Politikern Gehör und stiess auf viel Verständnis. So auch bei Viktor Orban.

Arpad Kurucz / Anadolu / Getty

Trotz den Kriegen in Tschetschenien und Georgien, der Annexion der Krim und der Ermordung politischer Gegner durch sein Regime brachten verschiedene europäische Spitzenpolitiker dem russischen Präsidenten viel Verständnis und zuweilen sogar Bewunderung entgegen. Viktor Orban traf Wladimir Putin im Jahresrhythmus, Marine Le Pen nahm bereitwillig russische Bankkredite, und Matteo Salvini posierte sogar mit einem Putin-Shirt auf dem Roten Platz. Mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine sind die Sympathisanten des Präsidenten jedoch in Erklärungsnot geraten. Einige distanzieren sich klar, andere sehen nach wie vor einen Teil der Schuld im Westen. Eine Übersicht über wichtige Putin-Versteher unter Europas Politikern.

Jeremy Corbyn, der pazifistische Nato-Kritiker

Der britische Labour-Chef Keir Starmer verurteilt Wladimir Putins Angriffskrieg auf die Ukraine klar und stellt sich ohne Wenn und Aber hinter die Nato. Damit markiert er Distanz zu seinem Vorgänger Jeremy Corbyn, der die Labour-Partei zwischen 2015 und 2020 präsidiert hatte. Wiederholt erklärte der altlinke Pazifist, die Nato hätte sich nach 1989 auflösen statt ausdehnen sollen. Und immer wieder vermied er es, gegenüber dem Kreml-Chef klar Stellung zu beziehen, auch wenn er ihn nicht offen unterstützte.

Das zeigte sich 2018, als russische Agenten in Salisbury den ehemaligen Spion Sergei Skripal mit dem Nervengift Nowitschok vergifteten. Die Indizien, dass das Attentat mit einem russischen Kampfstoff und im Auftrag des Kremls verübt worden war, waren von Anfang an erdrückend. Dennoch weigerte sich Corbyn, Putin für das Attentat verantwortlich zu machen. Vielmehr forderte er Premierministerin Theresa May auf, «verhältnismässig und basierend auf klaren Beweisen» zu handeln. Die Episode trug entscheidend zur sinkenden Popularität Corbyns bei, der von den Wählern als unpatriotisch wahrgenommen wurde und die Unterhauswahl 2019 klar verlor.

Ambivalent äusserte sich Corbyn nun auch zur Invasion in der Ukraine. Zuletzt forderte er zwar Putin klar zum Truppenabzug auf und solidarisierte sich mit Friedensdemonstranten in Russland. Gleichzeitig ist er Erstunterzeichner eines Appells der Stop the War Coalition. Das Schreiben erwähnt Putin mit keinem Wort, fordert aber von der Nato, auf russische Sicherheitsansprüche einzugehen und die Osterweiterung zu beenden, zumal das westliche Bündnis keine defensive Allianz sei. Elf Labour-Abgeordnete zogen ihre Unterschrift zurück, nachdem ihnen Starmer mit dem Fraktionsausschluss gedroht hatte.

Corbyn wurde bereits zuvor wegen verharmlosender Aussagen zu Labours Antisemitismus-Problem aus der Fraktion verbannt, bleibt aber Parteimitglied und verfügt unter Aktivisten über eine treue Anhängerschaft.

Marine Le Pen holt die Nähe zu Putin im Wahlkampf ein

Marine Le Pen bringt der Krieg in der Ukraine einen Monat vor den französischen Präsidentschaftswahlen in eine unangenehme Lage. Die Kandidatin des rechtsnationalistischen Rassemblement national (RN) hatte die von Russland ausgehende Bedrohung bis zuletzt verharmlost. «Ich sehe wirklich nicht, was die Russen in der Ukraine machen würden», sagte sie noch Anfang Februar. Moskaus Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze sah sie als Reaktion auf Provokationen des Westens. Ende Januar weigerte sie sich bei einem Treffen von Europas Rechtspopulisten in Madrid, einen Text zu unterzeichnen, der Russlands Militärmanöver verurteilte.

Le Pen unterhält seit Jahren gute Beziehungen zum Kreml – und hat nie ein Geheimnis aus ihrer Bewunderung für Wladimir Putin gemacht. Sie bezeichnete ihn unter anderem als Patrioten und lobte seine traditionellen christlichen Werte. Nach der Annexion der Krim lehnte es Le Pen ab, diese als illegal zu bezeichnen, und setzte sich immer wieder für die Aufhebung der gegen Russland verhängten Sanktionen ein.

2014 nahm die Vorsitzende der von Geldsorgen geplagten Partei für ihren Wahlkampf einen Kredit von rund 9 Millionen Euro bei einer russischen Bank auf, in deren Dunstkreis sich auch Vertraute Putins bewegten. Eine direkte Beteiligung des Kremls wurde allerdings nie bewiesen. Im Wahlkampf vor fünf Jahren traf die Rechtspopulistin in Moskau mit Putin zusammen. Ein gemeinsames Foto, das Le Pen damals stolz auf Twitter teilte, bringt sie nun in Verlegenheit. Denn es prangt auch auf ihrem aktuellen Wahlkampf-Flyer. Laut der Zeitung «Libération» soll die Partei deshalb die Zerstörung der Flyer angeordnet haben, was das RN jedoch dementiert.

Russlands Einmarsch in die Ukraine hat Le Pen klar verurteilt. Nichts könne diesen rechtfertigen, erklärte sie in einem Communiqué. Über Putin sagt sie nun, er sei nicht mehr derselbe wie vor fünf Jahren – ihr damaliges Treffen mit dem Kremlchef bereut sie aber nicht.

Viktor Orban – das «trojanische Pferd» des Kremls

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban wurde von Kritikern regelmässig als Putins trojanisches Pferd im Westen bezeichnet. Tatsächlich war er als Regierungschef eines EU- und Nato-Mitglieds der wohl einflussreichste Freund des Kremlherrn. Die beiden trafen sich im Jahresrhythmus, zuletzt vor einem Monat. Stolz erklärte Orban damals in Moskau, es sei schon das zwölfte bilaterale Treffen in seinen zwölf Amtsjahren. Er sprach von einer «Friedensmission» und plädierte für gegenseitigen Respekt. Die zu diesem Zeitpunkt bereits äusserst bedrohliche militärische Umzingelung der Ukraine kritisierte er nicht.

Die gute Beziehung basierte auf ideologischen Gemeinsamkeiten wie der Kritik am angeblich moralisch dekadenten Westen und beidseitigem Nutzen: Putin konnte mit dem Umwerben Orbans einen Keil in EU und Nato treiben, dieser wiederum im Streit mit Brüssel einen alternativen Partner vorweisen. Energiepolitisch begab sich Budapest in ein Abhängigkeitsverhältnis, indem es einen langfristigen Gasliefervertrag mit Gazprom aushandelte und das Atomkraftwerk Paks mit einem russischen Milliardenkredit ausbaut.

Den Angriff gegen die Ukraine verurteilte Orban deshalb nur zögerlich, noch länger dauerte es, bis er von einem Krieg sprach. Ungarn soll auch eines der Länder gewesen sein, die Russlands Ausschluss vom internationalen Zahlungssystem Swift zunächst blockierten. Inzwischen trägt Budapest alle Sanktionen mit. Die Regierung lehnt aber Waffenlieferungen an die Ukraine über ungarisches Territorium ab. «Ungarn hält sich aus diesem Krieg heraus», wiederholt Orban gebetsmühlenartig. Die Grenzen sind für Flüchtlinge indes geöffnet, bereits haben Zehntausende das Land erreicht.

Für den Regierungschef ist die Situation heikel, weil in knapp einem Monat gewählt wird. Die Opposition schlachtet Orbans Nähe zu Moskau aus – in einem Land, das die Erinnerung an den von den Sowjets blutig niedergeschlagenen Aufstand von 1956 pflegt. Allerdings könnte der Regierungschef auch davon profitieren, dass die Wähler angesichts der Krise in unmittelbarer Nachbarschaft Bewährtes bevorzugen.

Matteo Salvini, der Fanboy im Putin-T-Shirt

Italien hat eine lange Liste von Putin-Verstehern. Zu ihnen gehören der ehemalige Regierungschef Silvio Berlusconi, der mit Putin eine enge Freundschaft pflegte, aber auch diverse Politiker der Fünf-Sterne-Bewegung. Alle haben sich inzwischen mehr oder weniger deutlich vom russischen Präsidenten distanziert.

Besonders spektakulär setzte sich indessen immer Matteo Salvini, der Anführer der rechten Lega, als Fanboy Putins in Szene. Bilder zeigen Salvini als Touristen in Moskau, lächelnd, im Putin-T-Shirt, rechter Daumen hoch. Ein ähnliches Leibchen streifte er im Europaparlament über, als die Lega gegen die Sanktionen protestierte, die der Westen nach der Annexion der Krim gegen Russland verhängt hatte.

Salvinis Sympathie für Putin ging aber über solche Inszenierungen hinaus. Im März 2017 unterzeichneten die Lega und die Kreml-Partei Einiges Russland sogar einen Kooperationsvertrag. Zwei Jahre später brachte eine Affäre um verdeckte russische Parteispenden an die Lega Salvini in Bedrängnis.

Mit dem Ukraine-Krieg muss sich Salvini nun neu erfinden, denn mit Putin lässt sich auch in Italien dieser Tage nicht mehr punkten. Der Lega-Chef, dessen Partei immerhin Teil der Regierung von Mario Draghi ist, tut sich sichtlich schwer damit. Salvini wechsle seine Position von Minute zu Minute, merkte die «Repubblica» an: gegen Sanktionen, für Sanktionen, für Unterstützung der Ukraine, gegen Waffenlieferungen. Jüngster Coup: Am Donnerstag kündigte Salvini an, nach Polen zu fliegen, um von dort ukrainische Witwen und Waisen nach Italien zu bringen. Salvini, der Flüchtlingshelfer und Pazifist – an diese Version muss sich Italien erst einmal gewöhnen.

Sahra Wagenknecht sieht eine Mitschuld im Westen

Sogenannte Putin-Versteher gibt es in Deutschland vor allem am rechten und am linken Rand des politischen Spektrums. Sahra Wagenknecht, Buchautorin und Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, zählt zu ihnen: Noch vier Tage vor der russischen Invasion in der Ukraine erklärte sie einen Angriff für unrealistisch und verwies auf angeblich berechtigte russische Sicherheitsinteressen.

Nach dem Einmarsch verurteilte sie das russische Vorgehen eher pflichtschuldig und suggerierte einmal mehr, irgendwie seien beide Seiten schuld: Jede Handlung, die zu einer weiteren Eskalation führe, müsse unterlassen werden.

Anders als die rechtsradikale AfD führt die Linkspartei immerhin eine lebhafte Debatte darüber, wie mit dem Krieg umzugehen sei: Nachdem Wagenknecht und sechs weitere Abgeordnete nahegelegt hatten, der Westen sei für die Eskalation mitverantwortlich, warf der Parteikollege Gregor Gysi ihnen «völlige Emotionslosigkeit» angesichts der Toten und Verletzten vor. Wagenknecht und ihre Mitstreiter hingen einer «alten Ideologie» an: «Die Nato ist böse, die USA sind böse, die Bundesregierung ist böse, und damit ist Schluss für euch.» Den Eindruck zu erwecken, «wir hätten den russischen Angriffskrieg auch nur ansatzweise gerechtfertigt oder es an Empathie mangeln lassen, grenzt an Rufmord», so konterte Wagenknecht die Kritik.

Am 1. März setzten Wagenknecht und Max Otte, der sich für die AfD um das Amt des deutschen Bundespräsidenten beworben hatte, innert weniger Minuten Tweets nahezu identischen Inhalts ab: Putin fordere eine neutrale und entmilitarisierte Ukraine, schrieben sie darin sinngemäss. Nehme der Westen auf dieser Grundlage keine Verhandlungen mit Moskau auf, wäre dies ein schwerer Fehler. Sie habe vier Minuten früher getwittert, so verteidigte sich Wagenknecht und legte damit nahe, Otte könnte bei ihr abgeschrieben haben.

Milos Zeman nennt Putin plötzlich einen Verrückten

Eine überraschend deutliche Kehrtwende hat der tschechische Staatspräsident Milos Zeman vollzogen. Er hat in der vorwiegend repräsentativen Funktion nur noch beschränktes politisches Gewicht, und seine Amtsfähigkeit wird wegen schwerer Gesundheitsprobleme mittlerweile angezweifelt. Doch Zeman provoziert in Tschechien seit Jahren mit seiner Russland- und China-Freundlichkeit. Für den 70. Jahrestag des Sieges der Roten Armee am 9. Mai 2015 reiste er nach Moskau, obwohl ausser dem zypriotischen Präsidenten alle europäischen Staatschefs den Feierlichkeiten wegen der Annexion der Krim ein Jahr zuvor fernblieben. Der Militärparade durfte Zeman auf Geheiss der Regierung in Prag jedoch nicht beiwohnen.

2017 sorgte der Präsident für einen seiner vielen Eklats, als er an einem Gipfel in Peking zu Putin sagte, es seien zu viele Journalisten anwesend, man solle sie liquidieren. Von den vielen prorussischen Desinformations-Medienportalen Tschechiens wird Zeman stets sehr wohlwollend begleitet. Als das bilaterale Verhältnis vor einem Jahr in die tiefste Krise seit Jahrzehnten stürzte, weil die Spur im Zusammenhang mit einer Explosion in einem tschechischen Munitionslager 2014 zu russischen Agenten führte, warnte Zeman vor Hysterie und sprach von mangelnden Beweisen für eine Verantwortung Moskaus. In Tschechien warf man ihm darauf Verrat vor.

Nach dem Überfall auf die Ukraine sprach Zeman aber rasch von einem «Verbrechen gegen den Frieden» und nannte Putin gar einen Verrückten, der nun scharf ausgegrenzt werden müsse. Er forderte möglichst harte Sanktionen, auch einen Ausschluss aus dem Swift-Zahlungssystem.