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Mythos oder Medizin Hilft Koffein gegen Haarausfall?

Schon mit 30 hat jeder dritte Mann Geheimratsecken. Koffein-Shampoos und -Tinkturen versprechen schnelle Hilfe. Können sie die Haarpracht retten?
Genetisch bedingter Haarausfall: Irgendwann trifft's fast jeden Mann

Genetisch bedingter Haarausfall: Irgendwann trifft's fast jeden Mann

Foto: Corbis

Zuerst die gute Nachricht: Aus biologischer Sicht ist Kopfhaar heutzutage überflüssig. Schützte die Haarpracht unsere Vorfahren noch vor Sonne und Kälte, lassen sich diese Funktionen inzwischen leicht durch eine Mütze, Kappe oder Sonnencreme ersetzen. Beruhigen dürfte das viele Betroffene allerdings kaum, schwindet mit dem Haar doch oft auch das Selbstbewusstsein.

Haare gelten als Zeichen von Lebendigkeit, Gesundheit und Attraktivität. Männern, die ihr Selbstbewusstsein stark auf ihr Äußeres stützen, macht Haarverlust daher besonders zu schaffen, zeigen Umfragen . Der Besuch in der Drogerie oder Hausmittel versprechen Abhilfe. Koffein soll das Männerhaar bis ins hohe Alter sprießen lassen. Die Zielgruppe ist groß: Bereits mit 50 hat jeder zweite Mann genetisch bedingt mindestens Geheimratsecken, die sich später zur Halbglatze ausweiten.

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"Völlig abwegig ist die Idee mit dem Koffein gegen Haarausfall nicht", sagt Stephan Grabbe, Direktor der Universitäts-Hautklinik in Mainz. Zumindest auf manche Zellen hat der Stoff einen Einfluss. Im Gehirn verhindert Koffein etwa, dass sich müde machende Moleküle an Nervenbahnen anlagern. Auf diese Weise hält es uns wach. Auch Haare hat Koffein schon zum Wachsen angeregt - zumindest in Laborversuchen.

Fellwechsel im Frühling und Herbst

Ansatzpunkt für die Behandlung sind die Haarfollikel, längliche Einstülpungen in der Kopfhaut, in denen der Körper das Haar aus mehreren Lagen abgestorbener Zellen und Proteinfasern zusammenbaut. Von Geburt an trägt jeder Mensch etwa fünf Millionen von ihnen auf dem Kopf. Aus jedem wächst zwei bis sieben Jahre lang ein Haar, bevor es ausfällt und ein neues entsteht. So verlieren wir bis zu 150 Haare pro Tag.

Dabei ist es normal, dass im Frühjahr und Herbst, ähnlich wie bei einigen Tieren beim Fellwechsel, mehr Haare ausgehen. Auch Stress kann beeinflussen, wie schnell und lang die Haare wachsen. Bei vielen Männern, und auch manchen Frauen, ist das Wachstum allerdings grundlegend gestört.

Ihre Haarwurzeln reagieren genetisch bedingt überempfindlich auf ein Abbauprodukt des männlichen Geschlechtshormons Testosteron, das Dihydrotestosteron (DHT). DHT lässt die Haarfollikel schrumpfen. "Man kann sich das vorstellen wie einen Köcher mit Pfeilen", erklärt Grabbe. "Ist der Köchereingang zu eng, passen die Pfeile nicht mehr durch."

Aus den verkümmerten Follikeln wachsen, statt kräftiger Haare, farblose Härchen, deren Wachstumsphase teils so kurz ist, dass sie ausfallen, bevor sie aus der Hautoberfläche gucken.

Fünf Tage Koffein-Dröhnung

Ob Koffein die Wirkung des DHT auf die Haarfollikel unterdrücken kann, prüften 2014 zuletzt Forscher um Tobias Fischer, Oberarzt der Klinik für Dermatologie an der Uniklinik Schleswig-Holstein. Sie weichten Kopfhautproben in einer Testosteron- oder einer Testosteron-Koffein-Lösung ein . Tatsächlich ließ die Koffein-Mischung das Haar trotz Testosteron wieder sprießen.

Als Beweis für die Wirksamkeit von Koffein-Tinkturen und -Shampoos genügt das allerdings nicht. Im Labor lag die Kopfhaut fünf Tage in der Koffein-Mischung. Zudem hat ein bekannter Hersteller von Anti-Haarausfallmitteln die Studie bezahlt.

"Ob das Koffein bei der sehr kurzen Einwirkzeit von Shampoos weit genug in die Haut vordringt, ist fraglich", sagt Grabbe, der selbst bislang von starken Geheimratsecken verschont geblieben ist. Bei Tinkturen, die eine Weile in die Kopfhaut einmassiert werden, zeige die Erfahrung dagegen, dass sie wirksam sein könnten.

Ob das Koffein, die Kopfmassage oder der Placeboeffekt, also der Glaube an die Therapie, für die vermutete Wirkung sorgt, ist allerdings unklar. Wissenschaftlich nachgewiesen ist die Wirksamkeit nicht. "Sicher ist nur, dass die Shampoos und Tinkturen nicht schädlich sind", so Grabbe.

HAARTRANSPLANTATION: Weitgehend Glückssache

Retten kann Betroffene, die stark unter dem Haarverlust leiden, eine Besonderheit der Haarfollikel am Haarkranz: Sie reagieren nicht überempfindlich auf DHT und können deshalb transplantiert werden. Spätestens seit Jürgen Klopp die Methode genutzt hat, ist sie allseits bekannt. Laut Behandlungsleitlinie sind die Belege für ihren Erfolg allerdings noch dünn.Die Forscher haben die Methode mit der mittelmäßigen Note "Kann erwogen werden" versehen. Sie verweisen darauf, dass das Ergebnis maßgeblich vom Geschick des Operateurs abhängt. "Das ist ein Handwerk", erklärt Grabbe. "Einige Operateure beherrschen es richtig gut, es gibt aber auch Quacksalber." Unabhängig vom Können des Arztes besteht immer das Risiko für Entzündungen und Abstoßungsreaktionen.

Tausche Haare gegen Witz

Laut Behandlungsleitlinie   kommen zur wirksamen Behandlung des androgenetischen Haarausfalls nicht Koffein, sondern nur die teuren Arzneistoffe Minoxidil und Finasterid infrage. "Wenn der Haarausfall psychisch stark belastet, würde ich am ehesten zu Minoxidil raten", sagt Grabbe. "Es wirkt sicher und hat keine starken Nebenwirkungen."

Minoxidil, das ähnlich wie Koffein-Tinkturen zweimal am Tag in die Kopfhaut massiert wird, ist frei in der Apotheke erhältlich. Wie genau es wirkt, ist allerdings unklar. Finasterid gibt es nur auf Rezept. Die Tabletten verhindern, dass Testosteron in das haarschädigende DHT umgewandelt wird. Allerdings drohen Nebenwirkungen, die den Gewinn an Selbstbewusstsein durch volle Haare umgehend zunichtemachen können: Bei bis zu einem von 100 Behandelten leidet die Libido oder die Potenz unter dem Mittel.

Wer auf Arzneimittel verzichten möchte, dem bleibt, sich auf andere Qualitäten als volle Haare zu verlassen. Der ebenfalls halbglatzige William Shakespeare schrieb hoffnungsfroh: "Was die Zeit dem Menschen an Haar entzieht, das ersetzt sie ihm an Witz."

Fazit: Ob Koffein-Shampoos und -Tinkturen die Haarpracht retten können, ist unklar. Zur nachweislich wirksamen Behandlung kommen derzeit nur teure Arzneien infrage. Da freundet Mann sich vielleicht doch lieber mit der Platte an.

Zur Autorin

Julia Merlot begeistert sich für Themen rund um Mensch und Tier. Die studierte Wissenschaftsjournalistin ist Redakteurin im Ressort Wissenschaft und Gesundheit von SPIEGEL ONLINE.