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Umweltschädliches Steuersparmodell Klimakiller Dienstwagen

Die Mehrheit der in Deutschland neu zugelassenen Pkw sind Firmenwagen. Sie genießen zahlreiche Steuervorteile – und haben ein gewaltiges Emissionsproblem, wie eine Studie zeigt.
Neuwagen in einem Auslieferungslager: Der Dienstwagen wird einer Studie zufolge zum Klimaproblem

Neuwagen in einem Auslieferungslager: Der Dienstwagen wird einer Studie zufolge zum Klimaproblem

Foto: Ulrich Stamm / Future Image / imago images

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Auf Dienstwagen und gewerblich zugelassene Fahrzeuge entfallen 76 Prozent der CO2-Emissionen von Neuwagen in Deutschland – in kaum einem anderen EU-Land sind Wagen dieser Kategorie derart klimaschädlich unterwegs. Dies geht aus einer Studie der Organisation »Transport & Environment« (T&E) hervor, die dem SPIEGEL vorliegt.

Zugleich haben Dienstwagen demnach Potenzial, sehr viel CO₂ im Verkehr zu reduzieren: Die Elektrifizierung aller neuen gewerblich zugelassenen Fahrzeuge bis 2030 würde die gesamten Pkw-Emissionen in Deutschland um fast ein Drittel verringern. Damit ließe sich laut T&E ein Großteil der Emissionseinsparungen erreichen, um die derzeit diskutierten höheren Klimaziele im Verkehrssektor zu schaffen.

Das liegt der Studie zufolge an der großen Bedeutung der Firmenwagen auf dem deutschen Pkw-Markt:

  • So entfielen 2020 demnach 63 Prozent der Neuzulassungen auf Firmen, wovon wiederum der größte Teil auf klassische Flotten sowie Autohersteller und -händler entfällt.

  • Gleichzeitig legen Firmenwagen laut T&E pro Jahr rund zweimal so viele Kilometer wie private Pkw zurück.

  • 87 Prozent der neuen Firmenwagen werden nach wie vor von einem Verbrennungsmotor angetrieben.

  • Der durchschnittliche deutsche Firmenwagen stößt laut T&E 140 Gramm CO₂ pro Kilometer aus.

  • Damit gehört Deutschland zu den europäischen Schlusslichtern. Im Vereinigten Königreich liegt dieser Wert bei 131 Gramm, in Frankreich bei 120 und in den Niederlanden bei 98.

  • Nur 5,5 Prozent der gewerblichen Neuzulassungen in Deutschland waren 2020 Batteriefahrzeuge. Zum Vergleich: Im Vereinigten Königreich liegt dieser Wert bei 8,4 Prozent, in den Niederlanden bei 26,2 Prozent.

  • Gleichzeitig sind Firmenwagen in Deutschland vergleichsweise günstig. So wird beispielsweise ein VW Tiguan mit Dieselmotor in Frankreich über vier Jahre mit mehr als 9500 Euro besteuert, in Deutschland dagegen mit 1500 Euro.

  • Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fallen bei einem privat genutzten VW Golf (133 Gramm CO₂ pro Kilometer) wie bei einem VW Tiguan (177 Gramm CO₂ pro Kilometer) 18 Prozent an Steuern auf den geldwerten Vorteil an. Im Vereinigten Königreich bezahlen Arbeitnehmer dagegen 30 Prozent für den Golf und 37 Prozent für den klimaschädlicheren Tiguan.

»Die niedrige Besteuerung von wuchtigen Dienstwagen macht Deutschland zu einer Steueroase für Spritschlucker«, klagt der Direktor von T&E Deutschland, Stef Cornelis. Die Regierung könne sich nicht zu höheren Klimazielen verpflichten und gleichzeitig Umweltverschmutzung subventionieren.

Bonus-Malus-Regelung als Lösung

»Die politischen Rahmenbedingungen bei Dienstwagen müssen angepasst werden«, fordert auch Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM). Er hält eine Bonus-Malus-Regelung für die ideale Lösung. Dabei werden bei der Neuzulassung eines Fahrzeugs oberhalb eines bestimmten Emissionswerts Strafsätze fällig. In Frankreich kann diese Steuer bis zu 30.000 Euro betragen. Lokal emissionsfreie Fahrzeuge erhalten dagegen einen Bonus.

»Der aktuelle Ansatz reicht nicht aus, um die CO2-Ziele in Zukunft erfüllen zu können. Die Unternehmen müssen hier mit ihren Fuhrparks einen Beitrag leisten«, fordert Autoexperte Bratzel. So macht die aktuelle Förderung Plug-in-Hybride für Unternehmen und Mitarbeiter attraktiv, deren Realverbrauch jedoch meist stark von den Herstellerangaben abweicht. So werden laut T&E 70 Prozent dieser Fahrzeuge gewerblich zugelassen – und jedes Jahr mit rund einer Milliarde Euro gefördert.

Verbrenner für manche Mitarbeiter unumgänglich

Für Bratzel ein »klassischer Regulationsfehler«, da es keinen Anreiz gebe, den Akku des Wagens tatsächlich regelmäßig zu laden – man aber nur die Hälfte des geldwerten Vorteils eines Verbrenners versteuern müsse. »Die aktuelle Förderung läuft dem Ziel, sparsame Antriebe zu fördern, zuwider.«

Außerdem, so der Autoexperte, »sollte der Sprit deutlich teurer werden und der geldwerte Vorteil am Verbrauch der Fahrzeuge ausgerichtet werden.« Er sieht jedoch auch Probleme. So könnten Mitarbeiter, die lange Strecken fahren müssen , momentan noch nicht auf einen Verbrenner verzichten. Dafür müsse der Ausbau der Schnellladesäulen schneller vorangehen, etwa, indem Subventionen für Verbrenner auf den Ausbau von Schnellladern an Firmenstandorten umgeleitet werden.

Er sieht jedoch auch die Unternehmen in der Pflicht. »Firmenflotten sind sehr bedeutsam für CO2-Emissionen, gerade in Deutschland«, erklärt der CAM-Leiter. Denn deren Autos landen spätestens nach einigen Jahren auf dem Gebrauchtwagenmarkt, wo Privatleute sie kaufen – und danach mit ihnen die Atmosphäre noch lange belasten.