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Arbeitsmarktreformen Rot-Grün drückt beide Hartz-Gesetze durch

Freude bei Gerhard Schröder: Bei den Abstimmungen über die Arbeitsmarktreformen konnte Rot-Grün eine eigene Mehrheit aufbieten. Zuvor gab es eine peinliche Panne im Plenum: Die Stimmzettel wurden versehentlich vermischt. Der Kanzler appellierte jetzt an die Unions-regierten Länder, Hartz III und IV ihren Segen zu geben.

Berlin - "Es ist jetzt Sache der Mehrheit im Bundesrat, diesen notwendigen Reformprozess nicht zu blockieren", sagte Schröder am Rande der Bundestagssitzung. Er sei sicher, dass eine Mehrheit in der Union diese Verantwortung kenne und die Reformen nicht aus parteitaktischen Gründen blockieren werde.

Schröder wertete das Abstimmungsergebnis als Beleg für die Geschlossenheit der rot-grünen Koalition. Die Ergebnisse zeigten, "dass die Koalition geschlossen steht, wenn es darum geht, Deutschland zu modernisieren", sagte Schröder.

Für das rot-grüne Reformvorhaben votierten in namentlicher Abstimmung 304 Abgeordnete, 294 stimmten dagegen. Es gab eine Enthaltung. Mit dem so genannten Hartz-III-Gesetz wurde der Umbau der Bundesanstalt für Arbeit (BA) beschlossen. Neben einer Vereinfachung des Leistungsrechts geht es insbesondere um die Verstärkung der Arbeitsvermittlung.

Für das Hartz IV genannte Gesetz stimmten 306 Abgeordnete, 291 votierten dagegen. Es gab eine Enthaltung. Damit wurde die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum künftigen Arbeitslosengeld II beschlossen. Außerdem wird die Zumutbarkeit zur Annahme einer Beschäftigung verschärft.

Das Arbeitslosengeld II liegt auf Höhe der Sozialhilfe und beträgt pauschal im Westen 345 Euro und im Osten 331 Euro monatlich. Der Bundesrat muss dem Gesetz noch zustimmen. Gerechnet wird mit einem Vermittlungsverfahren.

Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte sein politisches Schicksal mit der Durchsetzung der rot-grünen Reformagenda verknüpft. Nach Zugeständnissen der Koalitionsspitzen an interne Reformkritiker steht einer rot-grünen Mehrheit aber nichts mehr im Wege.

Nur der ostdeutsche Grünen-Abgeordnete Werner Schulz hatte angekündigt, dass er sich der Stimme enthalten will. Seine Fraktionskollegin, Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer, warb im Berliner "Tagesspiegel" dafür um Verständnis. Die Mehrheit sei gesichert. "Deshalb ist absolute Geschlossenheit weder notwendig, noch wäre sie unter Demokratiegesichtspunkten eine Auszeichnung für Rot-Grün."

"Wundersame Vermehrung von Stimmkarten"

Bei der ersten Auszählung der Urnen mit den Stimmkarten waren die Stimmkarten der getrennten Abstimmungen über die Hartz-Gesetze III und IV zusammengeschüttet worden, sagte Bundestagsvizepräsident Norbert Lammert (CDU). Das habe zu einer "wundersamen Vermehrung" der Mitglieder des Deutschen Bundestages geführt. "Das sei ein menschliches Unglück", kommentierte Thierse den Vorgang. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) sagte, die Auszählungspanne erhöhe die Spannung im Parlament. Er hoffe, dass sich durch die Wiederholung der Abstimmung nichts am Ergebnis ändert.

Wie aus dem Bundestag weiter verlautete, kam die Panne dadurch zustande, dass ein neuer Mitarbeiter der Parlamentsverwaltung mit der Auszählung der Stimmen befasst war.

In der Debatte forderte Unions-Fraktionsvize Friedrich Merz (CDU) wegen der hohen Neuverschuldung den Rücktritt von Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD). Der Minister sei "das größte finanzpolitische Risiko, das den Vordereingang des Bundesfinanzministeriums jemals betreten hat. Es wird Zeit, dass Sie gehen", sagte Merz am Freitag in der Bundestagsdebatte über mehrere Steuer- und Finanzgesetze der Regierung in Berlin.

Der CDU-Politiker warf dem Minister vor, "grandiose Fehleinschätzungen" über die wirtschaftliche Situation des Landes "zum System" erhoben und mehrfach falsche Zahlen vorgelegt zu haben. Merz zeigte sich überzeugt, dass ein Vorziehen der Steuerreform auf Anfang 2004 die wirtschaftlichen Probleme nicht lösen werde. Mit Ausnahme der "Sonderkonjunktur Deutsche Einheit" habe es hier zu Lande "noch nie einen Aufschwung gegeben, der über die Nachfrageseite ausgelöst worden ist".

Zuvor hatte Clement an die Union appelliert, im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit zusammenzuarbeiten. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe müsse gemeinsam vorangetrieben werden, forderte Clement. Es gebe in dieser Frage zwischen Regierung und Union zwei Kernunterschiede. So müsse nach Meinung von Rot-Grün für Langzeitarbeitslose die Bundesanstalt für Arbeit zuständig sein. Dies sei eine Frage, "die wir sehr rasch und einvernehmlich lösen können müssen", sagte Clement mit Blick auf die Mehrheit der Union im Bundesrat.

Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) bekräftigte dagegen, dass die Union die Zuständigkeit bei den Kommunen ansiedeln wolle, zeigte sich jedoch verhandlungsbereit. "Wir werden uns über die Unterschiede auseinander setzen", sagte Koch, der als Hauptredner von CDU/CSU auf Clement antwortete. Außerdem warb Koch für die Pläne der Union, im Niedriglohnbereich Zuschüsse zu zahlen, um gering bezahlte Beschäftigung attraktiv zu machen.

Clement forderte ein neues Denken am Arbeitsmarkt. Der Umbau der BA vereinfache das Förderungs- und Leistungsrecht und erlaube, dass 3000 Mitarbeiter aus der Verwaltung in die Vermittlung von Arbeitslosen wechseln könnten. Ein Mitarbeiter solle künftig für 75 Arbeitslose zuständig sein statt bisher für mehrere hundert. Allein durch die intensivere Vermittlung lasse sich die Arbeitslosigkeit um 15 bis 20 Prozent senken.

Frühere Arbeitsmarktreformen wie die Einführung der Ich-AG, die Ausweitung der Leiharbeit und die Neuregelung der Mini-Jobs seien bereits erfolgreich. Sie hätten die Wachstumsschwelle, ab der zusätzliche Arbeitsplätze entstünden, bereits von 2,0 auf 1,5 Prozent Wirtschaftswachstum gesenkt. In diesem Jahr würden sich 200.000 Menschen aus der Arbeitslosigkeit selbständig machen.

Nach dem Willen der Bundesregierung sollen Arbeitslosen- und Sozialhilfe ab Juli 2004 zusammengelegt werden. Rund 2,7 Millionen erwerbsfähige Bezieher von Arbeitslosen- oder Sozialhilfe sollen dann das Arbeitslosengeld II in Höhe der Sozialhilfe erhalten.

Koch warf Rot-Grün vor, für die größte Haushalts- und Beschäftigungskrise in der Geschichte der Bundesrepublik verantwortlich zu sein. Auch er plädierte dafür, die Arbeitslosen- und Sozialhilfe "je schneller, desto besser" zusammenzulegen. Allerdings müssten die Kommunen an Stelle der BA für die Langzeitarbeitslosen zuständig sein.

Eichel: Etatlage "dramatisch"

Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) bezeichnete die Lage des Bundeshaushalts als "dramatisch". Nach der Steuerschätzung im November werde sie noch schwieriger sein, sagte Eichel. Nur mit den von der rot-grünen Koalition geplanten grundlegenden Reformen "können wir aus diesem Loch herauskommen".