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SCHÜSSE AUF RUDI DUTSCHKE

aus DER SPIEGEL 16/1968

Es zeige das nationale Unglück Deutschlands, so etwa schrieb es Max Weber, daß noch nie ein Hohenzoller geköpft worden sei. Gegenüber ihren Revolutionären und Republikanern brauchen sich die Deutschen ähnliches nicht nachsagen zu lassen. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, Erzberger und Rathenau sind ermordet worden, und nun hat auch die Bundesrepublik, Studnitzens Muttistaat, ihr erstes politisches Attentat.

Wem anders hätte es gelten können als dem 28jährigen Luckenwalder, dem Soziologiestudenten Rudi Dutschke, der mit Streifenpullover und in die Stirn gekämmtem Haar, mit seinem strahlenden Gebiß und der heiseren Stimme, mit Aktentasche (nicht zuletzt) und einem den Leuten so gänzlich unverständlichen Vokabular etwas machte, was nun noch weniger verständlich schien: Unruhe. Ein Student in Berlin, der gegen die Amerikaner, gegen Sorayas Ehemaligen, gegen den Notstand marschierte, gegen Senat und Rias -- eine Verkehrsstörung in Permanenz, bei der nicht ersichtlich wurde, warum die Polizei sie duldete.

Allein Ähnlichkeit mit ihm zu haben, ist neulich schon für einen Jüngling lebensgefährlich geworden, und als Rudi Dutschke gar zu Weihnachten in der Gedächtniskirche, dem zerborstenen Wahrzeichen, auf die Kanzel stieg, fand sich unter den Kirchgängern sogleich ein Rentner, der noch aus der Kampfzeit wußte, welche Sprache die Roten gewiß am ehesten verstehen, und schlug dem Revolutionär die Krücke über den Schädel. Das war wohl zu wenig, und so hat nun ein anderer Fanatiker, der seinen Ausweis zu Hause ließ, das erledigt, was er sicherlich unter gründlicherer Arbeit verstand, und sein Magazin auf Dutschke leergeschossen.

Diese Schüsse seien, so beeilte sich die CDU zu erläutern, ein »bedenkliches Zeichen des Radikalismus«, dem schleunigst Einhalt geboten werden müsse -- und wie immer man dies liest oder versteht, es klingt, als richte es sich auch, wenn nicht gar eher, gegen die Techniken und Taktiken des Opfers. Dutschke, vor wenigen Wochen noch, hatte es genauer gesehen: »Die Frage nach der Rolle der revolutionären Gewalt«, sagte er in Bad Boll, »und nach der Rolle der konterrevolutionären Gewalt im Geschichtsprozeß ist noch immer recht eindeutig zu beantworten. Nicht die Revolution beginnt mit der Gewalt, sondern die Existenz der Konterrevolution ist eine permanente Gewaltanwendung.«

Er meinte gewiß nicht das Attentat auf Kennedy, und Martin Luther King, der Friedensnobelpreisträger, lebte damals noch -- der dunkle Propagandist der Gewaltlosigkeit, dessen Ermordung in dem Gehirn eines jungen Mannes, das sich mit Wahnwitz vollgelesen haben mag, den Entschluß zum Attentat befördert haben wird.

Freilich, die Freunde Dutschkes sind keine ausgehungerten, im Analphabetentum gehaltenen Neger, die den Mord an ihrem Sprecher damit quittieren, aus dem nächsten eingeschlagenen Schaufenster einen Transistor oder eine helle Hose zu holen. Die Quittung der Intelligenz auf dieses Attentat, zu dem es unterhalb der -- gewiß ehrlichen -- öffentlichen Verurteilungen eine gewaltige Dunkelziffer des häßlichsten »Das hat er nun davon« geben wird: die Quittung der Intelligenz wird differenzierter, ihr zu begegnen wird komplizierter sein. Gewiß hat kein verantwortlicher Mann, auch der reichste nicht, das Attentat auf Dutschke gewünscht oder bezahlt. Aber weiß sich jedermann frei von dem Verdacht, den »roten Rudi« als Volksfeind angesehen, gar beschrieben zu haben?

Zu Guevaras Tod schrieb Peter Weiss: »Wir können keine Heiligen brauchen. Wir lehnen die mystische Verehrung ab, die den Opfertod mit einem Glorienschein umgibt.« Aber es sieht so aus, als liege es nicht im Ermessen der Revolutionäre, ob sie Märtyrer bekommen oder nicht -- sie werden ihnen von anderen produziert.

Es ist nicht lange her, daß Dutschke Rosa Luxemburg zitierte, die gesagt habe: »Das Maß der Gewalt bestimmt die andere Seite.« Er ergänzte: »Auf unserer Seite jedenfalls beginnt die Gewalt nicht.«

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