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  7. Im Schlachthaus bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück: Der Tod schimmert grün

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Jörg Altemeier ist bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück für den Tierschutz zuständig

Der Tod schimmert grün

Rheda-Wiedenbrück (WB). Fleischbrocken fallen in den Edelstahltrichter. Unten plumpst ein quadratischer Eiweißberg aufs Förderband. Vom Schwein ist nichts mehr zu erkennen. Ein Mann mit grauem Schnauzbart beobachtet den Vorgang, der aus einem Lebewesen eine leicht zu verpackende Gewichtseinheit macht. Der Mann unter der Hygienehaube ist bei Tönnies für das Wohl der Tiere zuständig – bevor sie abgepackt werden.

Jan Gruhn

Jörg Altemeier ist Leiter der Stabsstelle Tierschutz bei Tönnies. In diesen Gängen warten die Tiere, bis sie in die Betäubungsmaschine getrieben werden. Möglichst stressfrei, das ist Altemeiers Ziel. Im Hintergrund: Das grüne Licht markiert die letzten Meter für die Schweine.
Jörg Altemeier ist Leiter der Stabsstelle Tierschutz bei Tönnies. In diesen Gängen warten die Tiere, bis sie in die Betäubungsmaschine getrieben werden. Möglichst stressfrei, das ist Altemeiers Ziel. Im Hintergrund: Das grüne Licht markiert die letzten Meter für die Schweine. Foto: Jan Gruhn

Das Licht ist gedämpft, von oben fallen hin und wieder dicke Wassertropfen. Es riecht streng. Unter der Decke hängt ein Plakat. »Schont die Kreatur. Das ist die beste Qualitätssicherung.« Es ist schmutzig, das Schild. In langen Gängen warten die Schweine auf das, was kommt. Aus einem Lautsprecher dudelt Fahrstuhlmusik, »My heart will go on« in einer Panflöten-Version. Von der Laderampe aus, über die die Tiere angeliefert werden, ist die grün beleuchtete Pforte zu erkennen. Grün beruhige die Tiere, sagt Jörg Altemeier.

Eigentlich ist der 54-Jährige Tierarzt. Aber mit Hamstern oder Pferden hat er nichts mehr zu tun. Seit fünfeinhalb Jahren arbeitet er für die Tönnies Unternehmensgruppe. Im Rheda-Wiedenbrücker Stammsitz leitet er die Stabsstelle Tierschutz. Vorher arbeitete der gebürtige Gütersloher in Hamburg. Doch dann kam das Angebot von Konzern-Chef Clemens Tönnies. »Da musste ich eine Nacht drüber schlafen«, gibt Altemeier zu. Ein Tierarzt verpflichtet sich dem Wohl seiner Schützlinge. Warum dann in einem Betrieb arbeiten, in dem täglich bis zu 26.000 Schweine ihr Leben lassen?

Die Aufgabe: im Schlachtprozess aufs Tierwohl zu achten

Plötzlich springen die Sprinkler an, verteilen feine Wassertropfen über dem Gang, in dem die Schweine dicht gedrängt aneinanderliegen. Nicht weil kein Platz ist, die andere Hälfte des Korridors ist leer. Vom Sprühregen benetzt stehen die Schweine auf. Nicht panisch. Aber hier und da wird gerempelt. »Eine Art Wecker«, erklärt Altemeier. Als Mensch finde man es schließlich auch angenehmer, eine Aufwachphase zu haben, bevor es losgeht.

»Hier kann ich dazu beitragen, dass es vielen Tieren ein bisschen besser geht«, sagt der Tierarzt. Etwa 50 Mitarbeiter hat seine Stabsstelle, die für alle Firmenstandorte zuständig ist. Die Aufgabe: im Schlachtprozess aufs Tierwohl zu achten, Maßnahmen einzuführen, ihre Einhaltung zu kontrollieren.

Überwachung. Nur so funktioniert es für Altemeier. Überall hängen Kameras: an den Laderampen, entlang der Förderbänder. »Unsere EDV liebt mich nicht dafür«, unkt der 54-Jährige. Ständig müssen die Server aufgerüstet werden, die Datenmengen werden größer und größer – auch, weil die Technik immer spezialisierter werden soll. Je mehr Aufgaben die Technik übernimmt, desto weniger Fehlerquellen gibt es. »Wir arbeiten hier mit Menschen«, sagt Altemeier. Und Menschen machen Fehler.

Die Treibhilfen klappern, im Inneren rieselt Granulat

»Wir brauchen eine Tötungsmethode, die frei ist von menschlichem Fehlverhalten und gleichzeitig dem Tier keine zusätzliche Belastung zufügt«, sagt Dr. Brigitte Rusche, Vize-Präsidentin des Deutschen Tierschutzbundes. Sie ist Mitglied im Kuratorium der Tönnies-Forschung. Diese Gesellschaft fördert Forschung zum Tierwohl. Mit einer mittleren sechsstelligen Summe, heißt es.

Wenn es soweit ist, müssen sie leicht bergauf gehen. Das sei angenehmer als bergab, sagt Altemeier. Das sei beim Menschen schließlich auch so. Mit blauen Paddeln werden die Schweine Richtung Pforte getrieben. Die Treibhilfen klappern, im Inneren rieselt Granulat.

Am Kopf des Quergangs, den letzten Metern auf dem Weg zum Ende, steht ein Mitarbeiter in grauem Arbeitskittel. Er klatscht in die Hände. Ein Schwein läuft gegen den Strom, wird von seinen Artgenossen aber in die Gegenrichtung gedrückt. Je näher die Pforte kommt, desto lauter wird es. Desto näher rückt das CO-Bad. Die Begasung.


Quelle: Fleischatlas, Stand 2013
Quelle: Fleischatlas, Stand 2013 Foto:

»Es dauert mindestens 30 bis 40 Sekunden, in denen das Schwein Abwehrreaktionen zeigt, Atembeschwerden hat, springt und zappelt«, sagt Dr. Rusche. Auch für Altemeier ist es keine perfekte Betäubungsmethode. Die entstehende Kohlensäure greift die Schleimhäute der Tiere an. Das sorgt für Stress. Aber es sei die aktuell beste. Zurzeit probieren sie bei Tönnies auch eine Stickstoffvariante aus. Ob sie funktioniert, ist noch offen.

Das grüne Licht kommt näher

»So lange die Gesellschaft Tiere aufessen möchte, ist es das mindeste, was wir erreichen müssen«, sagt Dr. Brigitte Rusche über ihr Engagement für einen stressfreien Schweinetod. Doch es ginge auch um ein tiergerechtes Leben. 90 Prozent aller Schweine in Deutschland haben das laut Dr. Rusche nicht. Aktuellste Frage für die Tier-Lobbyistin: »Wie können wir erreichen, dass Schweine im Stall ganze Schwänze haben?«

Damit die Tiere sich nicht gegenseitig den Schwanz abkauen, werden sie noch oft kupiert. Denn Bisswunden können zu Infektionen führen, Infektionen führen zu Medikamenten-Einsatz. Im Tönnies-Werk bauen sie gerade ein Analyse-Labor auf. Mit einem Schnelltest kann Labor-Chefin Sandra Flottmann Schweineblut zum Beispiel auf Antibiotika testen.

Überprüft werden Landwirte, die nach eigenen Angaben darauf verzichten. »Vertrauen ist gut«, meint Altemeier. Aber das reicht im harten Wettbewerb um billige Lebensmittel eben nicht aus.

Das grüne Licht kommt näher. Die Maschinen rattern, man versteht sein eigenes Wort nicht. »Da arbeiten wir gerade dran«, ruft Altemeier. Zu laut, noch zu viel Belastung für die Schweine. Ein elektronischer Schieber treibt die Tiere in kleinen Gruppen Richtung Fahrstuhl. »Eine Art Paternoster«, erklärt Altemeier. Vaterunser auf den finalen Metern.

Da ist sie, Panik

So ruhig die Schweine in den Gängen gewartet haben, jetzt quieken sie. Da ist sie, Panik. Dann verschwinden sie im glänzenden Bauch der Maschine. Bewusstlosigkeit. Wenige Minuten später tauchen sie wieder auf, auf der anderen Seite. Regungslos bleiben sie vor einem Mitarbeiter liegen, der sie mit den Füßen an Haken hängt. Jetzt geht es für die Schweine himmelwärts. Wenn der Reflextest negativ ausfällt, kommt er – der finale Stich.

Einige Etagen höher fahren rosige Eiweißberge über das weiße Förderband unter der Brücke her, auf der Jörg Altemeier steht. Er beobachtet, wie das Hackfleisch abgepackt wird. Ein durchsichtiger Plastikquader umhüllt die Massen. Praktisch zu stapeln in den weißen Kartons. Vom Schwein ist nichts mehr zu erkennen.

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