Die Ballhausplatz-Boys – Seite 1

Am Dienstagnachmittag ist der Traum von Thomas Schmid zerplatzt. Jahrelang hatte sich der ehemalige Generalsekretär im Finanzministerium für den Vorstandsjob bei der Österreichischen Beteiligungs AG (Öbag) ins Zeug gelegt, sich das Vertrauen des Kanzlers erarbeitet, sich um Stellen für joblose Parteifreunde bemüht und dabei sehr viele Textnachrichten geschrieben. An den heutigen Finanzminister Gernot Blümel, an Kanzler Sebastian Kurz und an viele andere, bevor er im April 2019 tatsächlich zum Alleinvorstand der Öbag bestellt wurde, jener Staatsholding, die Anteile der Republik an börsennotierten Unternehmen wie OMV, Telekom Austria, Post und Verbund verwaltet – ein Vermögen von knapp 27 Milliarden Euro.

Doch am Dienstagnachmittag verkündete die Öbag nach einer außerordentlichen Sitzung des Aufsichtsrats in einer kurzen Presseaussendung: Thomas Schmid wird seinen Vertrag im Jahr 2022 auslaufen lassen und aus dem Unternehmen ausscheiden. Es ist das vorläufige Ende eines türkisen Postenschachers, der die Republik seit Tagen in Aufruhr und die Kanzlerpartei in Erklärungsnot bringt.

Die Textnachrichten aus dem Mobiltelefon des Kurz-Vertrauen Thomas Schmid, die von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ausgewertet und in den vergangenen Tagen öffentlich gemacht wurden – sie liegen auch der ZEIT vor –, zeichnen ein verheerendes Bild der politischen Sitten im Land. Sie dokumentieren unter anderem, wie auf den höchsten Ebenen der Republik interveniert wurde und wie Jobs für Parteifreunde und Günstlinge im öffentlichen Sektor geschaffen wurden. Wie etwa Thomas Schmid, der heute im sogenannten Casinos-Komplex als Beschuldigter geführt wird, mit dem Segen des Bundeskanzlers zum Alleinvorstand der wichtigen Staatsholding der Republik ernannt wurde – auf Grundlage einer Ausschreibung, die er sich selbst auf den Leib schrieb, bestellt von einem Aufsichtsrat, den er sich selbst aussuchen durfte.

Anfang der Woche hatte sich der Aufsichtsrat, der formell für die Abrufung des Vorstands zuständig ist, noch hinter Schmid gestellt. Auch Kurz verteidigte in einer dringlichen Anfrage des Bundesrates die Postenbesetzung. Er werde es "niemals akzeptieren", wenn ihm Korruption unterstellt werde. Solche Postenbesetzungen seien quasi ganz normal.

Doch der Druck wurde zu groß, die Opposition forderte geschlossen den Rücktritt Schmids, und auch der grüne Koalitionspartner legte dem Vorstand nahe, sich zurückzuziehen. Die Debatte um Schmid ist der türkisen Message-Control längst entglitten. Sie lässt sich nicht schlicht aussitzen, wie es die ÖVP-Spitze sonst bei geballter Kritik gerne tut. In der Welt der Wirtschaft wiederum gelten Vorstände, die dauernd mit schlechten Nachrichten in den Medien auftauchen, als Gift für die Performance der Unternehmen.

"Sowohl Kurz als auch die Öbag mussten handeln", sagt ein ÖVP-naher Manager aus der staatsnahen Wirtschaft. "Schmid war in der Position auf Dauer nicht mehr zu halten." In den kommenden Wochen werden weitere von der WKStA ausgewertete Chatnachrichten aus dem Mobiltelefon von Schmid erwartet – von einigen mit Zittern. Zudem machten auch jene Öbag-Aufsichtsräte intern Druck, die der FPÖ und der SPÖ nahestehen. Dass am vergangenen Wochenende Schmids Vorstands-Gage in Höhe von 400.000 Euro brutto jährlich plus Bonus-Optionen und sonstigen Benefits an den Boulevard geleakt wurde, wird in der ÖVP als Indiz gewertet, dass aus dieser Ecke noch weitere Sperrfeuer zu erwarten sind.

Dass sich Schmid nicht sofort aus der Öbag zurückzieht, sondern seinen Dreijahresvertrag auslaufen lässt, soll nicht für Schmid eine gesichtswahrende Lösung sein, sondern auch für Sebastian Kurz. Denn der türkise Kanzler scheut nichts mehr, als einen Fehler oder gar eine Niederlage eingestehen zu müssen. Schmid kann sich bis März 2022 neu orientieren, die Öbag in Ruhe die Neuordnung der Unternehmensspitze über die Bühne bringen. Doch die Postenschacher-Affäre kratzt am Image des Kanzlers.

"Er ist ein lupenreiner Karrierist ohne jedes politische Anliegen"

Beim Projekt Ballhausplatz spielte Thomas Schmid eine Schlüsselrolle

Sebastian Kurz hat das System des Postenschachers nicht erfunden. In Österreich haben politische Postenbesetzungen Tradition: Wann immer eine neue Regierung an die Macht kam, wurde in den öffentlichen Unternehmen umgefärbt (siehe dazu auch das Interview rechts auf dieser Seite). Doch Kurz hatte einen "neuen Stil" in der Politik versprochen, Postenschacher und Günstlingswirtschaft sollten abgeschafft werden.

Das war, wie die Chatprotokolle zeigen, ein leeres Versprechen. Auch unter Kurz blühte die Günstlingswirtschaft.

"Neu im System Kurz ist nur, dass sie besonders auf den Kreis um ihn zugeschnitten ist", sagt der Politologe und Parteienexperte Hubert Sickinger. Allen voran auf die engsten Vertrauten um den Kanzler, die "Familie", zu der auch Thomas Schmid gehörte, wie ihm Gernot Blümel in einer Textnachricht versicherte.

Und Thomas Schmid, Jahrgang 1975, studierter Politik- und Rechtswissenschaftler, wollte unbedingt etwas werden. Er hatte sich bis zu seinen ersten Jobs im ÖVP-Dunstkreis politisch nie betätigt, war weder im Cartellverband noch in der Jugend- und Studentenpolitik gewesen.

"Er ist ein lupenreiner Karrierist ohne jedes politische Anliegen", sagen langjährige Weggefährten. In seinen Anfängen als Pressesprecher erlebten ihn viele Journalisten als freundlich und verbindlich, garniert mit einem Schuss Skilehrer-Schmäh, ein Mitbringsel aus seiner Tiroler Heimat. Zu Terminen rollte er mit der Vespa an. Und später, als Öbag-Boss, erschien er gerne in Sneakern, Sporthose und Pullover im Büro.

Doch der lockere Look täuscht. Schmid brennt vor Ehrgeiz. "Er wollte immer alles wissen und überall dabei sein", sagt ein ehemaliger Kollege.

Schmid hat im Laufe seiner Karriere viele Stationen durchlaufen: Er war Mitarbeiter im Europäischen Parlament, Pressereferent im Finanz- und Bildungsministerium, Büroleiter des damaligen Klubobmanns Wolfgang Schüssel, und dann übernahm er die Medienarbeit für Außenminister Michael Spindelegger.

Dort, im Außenamt, sah er endlich das ideale Sprungbrett für seine Karrierepläne – einen Diplomatenjob in New York oder in Asien. Er scheiterte gleich bei der ersten Hürde, dem sogenannten préalable. Dass er die herausfordernde Aufnahmeprüfung erst im dritten Anlauf genommen hat, weist er entrüstet zurück. Er legt großen Wert darauf, es im zweiten Anlauf geschafft zu haben. Sein Traumjob New York blieb dennoch weiter unerreichbar.

Bei der Machtübernahme der Kurz-ÖVP wird er zu einem Schlüsselspieler

2013 hängt er den Klinkenputzer-Job des Pressesprechers zugunsten der Position des einflussreichen Kabinettschefs an den Nagel. Sein Förderer bleibt Michael Spindelegger, seine Hoffnungsaktie heißt da schon lange Sebastian Kurz.

Beim "Projekt Ballhausplatz", der lange vorbereiteten Machtübernahme der Kurz-ÖVP, wird Thomas Schmid zu einem Schlüsselspieler. Er vermittelt seine langjährige Freundin, die bestens vernetzte PR-Beraterin Gabriele Spiegelfeld, als Türöffnerin zu einflussreichen Industriellen und möglichen Gönnern.

2017 sind die Weichen für den Coup gestellt, viele von Kurz’ Weggefährten bringen sich bereits für Ämter und Positionen in der neuen türkisen Ära in Stellung. Gernot Blümel, zu diesem Zeitpunkt Wiener ÖVP-Obmann, ist als Minister im Kabinett Kurz gesetzt. Auch Alexander Schallenberg, Sektionsleiter für Europafragen, ist auf Kurz’ Ministerlisten ganz oben.

Und Sebastian Kurz selbst ist als ÖVP-Chef am Absprung Richtung Kanzleramt.

Unter der türkis-blauen Regierung macht Thomas Schmid auf dringenden Wunsch von Kurz weiter den Kabinettschef und Generalsekretär im Finanzministerium. Mit seinem neuen Vorgesetzten Hartwig Löger kann der machtbewusste Schmid aber noch schlechter als mit dessen Vorgänger Hansjörg Schelling.

In Lögers Zeit stand Schmid im ständigen Austausch – auch am Minister vorbei – mit der Kanzlertruppe, insbesondere mit Gernot Blümel. Bereits ab 2017 wollte er weg aus dem aufreibenden Job in der zweiten Reihe im Finanzministerium, hin in die damals noch staatliche Beteiligungsgesellschaft Öbib, aus der letztlich die neu strukturierte Öbag werden sollte.

Bevor Kurz im Jahr 2017 die Volkspartei übernahm, ließ er sich vom Bundesparteivorstand per Statutenänderung zum mächtigsten ÖVP-Chef der Parteigeschichte machen. Der Einfluss der Länder und schwarzen Bünde wurde zurückgedrängt, Kurz ließ sich ein personelles Durchgriffsrecht bei der Erstellung der Wahllisten zusichern, freie Hand bei Koalitionsverhandlungen und die Entscheidungshoheit darüber, wer Generalsekretär wird und wer ins Regierungsteam darf.

Nicht nur innerhalb der Partei, auch später in der Regierungsarbeit kam es unter dem neuen ÖVP-Chef zu einer Machtverschiebung: weg vom Einfluss der eigenen Minister und Mandatare, hin zu einer Machtkonzentration im Kanzleramt. Alle wichtigen Entscheidungen und die gesamte ÖVP-Kommunikation laufen heute über den Ballhausplatz.

"Ich liebe meinen Kanzler. Dich zu haben ist ein Segen"

Statt erfahrene Politiker holte sich Kurz seine Vertrauten oder Quereinsteiger in die Regierung: Margarete Schramböck, Karoline Edtstadler, Juliane Bogner-Strauß, Hartwig Löger. Alle ohne Hausmacht und einzig dem Kanzler loyal – mehr noch: Die Chats offenbaren geradezu Demut gegenüber Sebastian Kurz.

"Die Leute lieben dich", schrieb Hartwig Löger etwa an Kurz im Jänner 2019.

"Ich liebe meinen Kanzler", beteuerte Schmid. Oder: "Dich zu haben ist ein Segen."

"Im Wesentlichen wurden die Kabinette der politisch unerfahrenen Minister und Ministerinnen schon einmal von Kurz und seinem inneren Zirkel vorsortiert", sagt der Politologe Sickinger. Die Ministerkabinette, die nach parteipolitischen Kriterien besetzt werden, wurden seit den 1990er-Jahren kontinuierlich aufgebläht, was die Beamtenschaft zunehmend schwächte. Unter Kurz wurde das fortgeschrieben. Die türkis-blaue Regierung hat in allen Ministerien mächtige Generalsekretäre installiert – politisch besetzte Beamte, die mit einem Weisungsrecht gegenüber den Sektionsleitungen und den nachgeordneten Dienststellen ausgestattet wurden. "Auf der Seite der ÖVP läuft die Koordination der Regierung heute auf der Ebene der Kabinettschefs und der Generalsekretäre", sagt Sickinger. "In Normalzeiten ist es quasi egal, wer Minister ist."

Auch Thomas Schmid galt im Finanzministerium als der heimliche Ressortchef. In einer Textnachricht an seinen Pressesprecher bezeichnete er den damaligen Finanzminister, seinen Vorgesetzten, gar als "Niete". In einer weiteren SMS schreibt er: "Wenn seine Dummheit verhindert dass ich in die obag darf bin ich echt sauer."

Kurz, der bekannt dafür ist, immer die Kontrolle behalten zu wollen, prägte als Kanzler das Prinzip "Message-Control". Strikt durchgetaktet wurde wie nach Drehbuch regiert. "Dieser Führungsstil, bei dem man den Sachverstand der Verwaltung runterdrückt, der funktioniert in wirtschaftlichen Schönwetterzeiten ganz gut", sagt Sickinger. "Aber er ist nicht krisenresistent." Siehe etwa Impfchaos im Gesundheitsministerium.

Thomas Schmid wird nicht tief fallen. Er hat einflussreiche Freunde

Und jetzt? Wie geht es mit Thomas Schmid weiter? Ein Auffang-Netz, das er sich während seiner Zeit als Generalsekretär und Kabinettschef gestrickt hat, steht ihm entgegen Gerüchten nicht mehr zur Verfügung: die Rückkehr in seinen Diplomatenstatus im Außenministerium. Schmid war bis zu seiner Bestellung zum Alleinvorstand der Öbag im März 2019 dort als Beamter karenziert. Das Vertragsverhältnis wurde einen Tag nach seiner Ernennung einvernehmlich aufgelöst.

Tief fallen wird Schmid aber auch nach seinem Abgang bei der Öbag nicht. Er ist bestens vernetzt und hat viele einflussreiche Freunde außerhalb der Politik. Auch die Kanzlertruppe wird ihn nicht vergessen. Er ist schließlich Mitglied der Familie. Und als solches kennt er auch alle Familiengeheimnisse.